: Der häßliche Deutsche Von Mathias Bröckers
„Was ist denn bei euch eigentlich los“, fragt mein Freund aus Kalifornien, „wenn hier in den Medien über Deutschland berichtet wird, kommen nur noch Neonazis vor, die Ausländer jagen. Und als Deutscher wirst du neuerdings überall danach gefragt, mir wird das langsam unangenehm, ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll.“
Spätestens wenn die nächste Telefonrechnung kommt, werde ich mich darüber ärgern, daß ich auf die Frage, was hier eigentlich los sei, keine schnelle Antwort wußte, mir die Haare raufte und fast eine halbe Stunde mit Erklärungen zubrachte: daß es wirklich grauenhaft sei, daß einen das Ganze in tiefe Depressionen stürzen könnte, daß die Polizei passiv bliebe, weil sie für die Motive dieser Schläger Verständnis hegt, daß die Regierung nichts unternähme, weil das ganze „Ausländer raus“-Gedröhne ihrer Sparpolitik gerade recht kommt, daß Kohl & Co. Asyl ganz bewußt zum Thema gemacht hätten und sich jetzt über den Volkssturm wundern, den sie mit ihrem Wahlkampfwind geerntet haben; daß das Ossi-Volk in seiner absoluten Mehrheit die ekelhafte Mentalität des Zukurzgekommenen offenbart, der nach oben buckelt und nach unten tritt, daß eine winzige Minderheit im Osten aber auch im Westen dieses Treten auf Hilflose und Schwache in die Tat umsetzt, daß ein paar wenige Aktive aber durchaus ausreichen, die ganzen Verhältnisse ins Chaos zu stürzen – wie ja auch ein Schmetterling in Peking mit seinem Geflatter letztlich ein Gewitter über Berlin auslösen kann, daß mittlerweile gegen einen Blitzeinschlag in das heiligste Gut, die Verfassung, kaum noch jemand aufmuckt, daß selbst Linke, die mit dem Staat nie etwas am Hut hatten, jetzt den starken Staat gegen rechts fordern ...
„Das klingt ja alles reichlich beschissen“, kam es über den Atlantik, „die Leute hier sehen es so: Kaum ziehen wir unsere Army ab, kaum heben wir den Deckel auf diesem deutschen Topf, schon kocht der Hitler wieder über“ – was hierzulande einen weiteren warmen Regen für die Telekom auslöste, ich setzte nämlich zu einer größeren „Ja aber andererseits alles halb so wild“-Erklärung an: Da jammert alles jahrzehntelang über den Kalten Krieg, den Eisernen Vorhang, die Vereisung der Blöcke, und endlich kündigt sich der Frühling an, es setzt Tauwetter ein, die Blöcke schmelzen, und wieder jammert alles – über den Schneematsch und vor allem über den braunen Schlamm, der überall auf den Straßen hochkommt. Mit dem Hochwasser wird eben auch der ganze Nazidreck wieder hochgespült. Aber das kann kein Grund sein, sich die weiße Winterpracht zurückzuwünschen, in der doch alles so schön tiefgekühlt und steril war.
Daß der braune Sumpf endlich sichtbar wird, hat sein Gutes, nur so kann er irgendwann austrocknen. Durch den Schlamm müssen wir durch. Und die meisten Randalierer haben doch, genau betrachtet, mit Hitler nichts zu schaffen, es sind dumpfe Halbstarke, die mit einem Job und einem Manta GT sofort zu befrieden wären – wer aber gar nichts hat, worauf er stolz sein kann, dem fällt halt nur „Deutschland“ ein. So isses – hoffnungslos, aber nicht ernst – der nächste Sommer kommt bestimmt!
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