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US-Wahlkampf als Talk-Show

Tiefe Abneigung gegen die Politiker-Kaste/ Nicht Vertrauen zählt, sondern welchem Kandidaten weniger Mißtrauen entgegengebracht wird/ Clinton liegt in den letzten Umfragen vorn  ■ Von Andrea Böhm

Nach Auszählung aller Einschaltquoten steht der Sieger der Präsidentschaftswahlen 1992 fest: der Talk-Showmaster. In keinem anderen Wahlkampf haben die Kandidaten so viel geplaudert, geschwätzt und gesmalltalkt wie in diesem Jahr. In einer Talk-Show verkündete Ross Perot seinen Einstieg in das Präsidentschaftsrennen; in einer Talk-Show äußerte sich Bill Clinton mit Gattin Hillary an seiner Seite zum Vorwurf des Ehebruchs, nachdem seine Ex-Geliebte zuvor in einer anderen Talk- Show den ersten Kuß beschreiben durfte. Gegen Ende des Wahlkampfs hat selbst George Bush begriffen, daß sein Volk – von Politik und Politikern angewidert – eher bei „Larry King Live“ auf CNN oder der „Today-Show“ auf NBC einschaltet, als bei den traditionellen Nachrichtensendungen.

Seit der letzten Fernsehdebatte, in der Bush zwar keine großartige Figur, aber wenigstens Kampfeswillen zeigte, befindet sich der Präsident auf Aufholjagd. Bush weiß, daß er nichts mehr zu verlieren hat – auch keine Skrupel oder Hemmungen. Sein Wahlkampf hat sich in den letzten Tagen in eine totale „Negativ-Kampagne“ verwandelt. In TV-Spots, die einem Horrorfilm entstammen könnten, wird Clinton als inkompetent, unglaubwürdig und gefährlich für das Wohl des Landes dargestellt. Bush selbst hat seine präsidialen Umgangsformen abgestreift und übt sich statt dessen in einer Art Pöbeljargon.

Diese Taktik macht den Wahlkampf noch unerträglicher; aber sie beruht auf einer richtigen Kalkulation: Selten haben US-Amerikaner ihre Abneigung gegenüber der Politikerkaste so deutlich gemacht wie 1992; selten begegnen sie den Kandidaten mit so viel Distanz. Wahlkriterium ist nicht die Frage, wer mehr Sympathie und Zutrauen genießt, sondern wem am wenigsten Antipathie und Mißtrauen entgegengebracht wird. Also hofft der Underdog George Bush auf Stimmen, wenn er seinen Konkurrenten in den düstersten Farben schildert.

Kurz vor den Wahlen sind die Demokraten noch einmal nervös geworden, nachdem unter den Demoskopen Chaos ausgebrochen ist: Die einen beziffern Clintons Vorsprung auf nur noch zwei, andere auf zehn Prozent. Doch Clinton gilt nach wie vor als Favorit, da er laut Meinungsumfragen in 24 Bundesstaaten an der Spitze steht. Damit hätte Clinton bereits die Anzahl von 270 Wahlmännerstimmen zusammen, die er für den Wahlsieg braucht.

Seit Freitag hätte man ohnehin meinen könne, daß Rennen sei zugunsten der Demokraten gelaufen: Erstmals wurden handschriftliche Notizen des ehemaligen Verteidigungsministers Caspar Weinberger veröffentlicht, wonach der damalige Vizepräsident Bush über den Iran-Contra-Deal voll informiert war und ihn befürwortet hat. Bush hatte bislang immer behauptet, nie gewußt zu haben, daß mit den Waffenlieferungen amerikanische Geiseln im Libanon freigekauft werden sollten. Doch auf den Wahlkampf wird sich diese Neuigkeit kaum auswirken. Die meisten Amerikaner wissen nicht einmal mehr, worum es im „Iran-Contra- Skandal“ überhaupt geht.

Da erregt schon eher der Umstand die Gemüter, daß die Spitzenkandidaten der beiden Parteien je 55 Millionen Dollar aus der Staatskasse für ihren Wahlkampf einstreichen – mit der Auflage, Wahlkampfspenden von privater Seite zu begrenzen. Daran hält sich keine der Parteien. Clinton hat zusätzlich 62 Millionen Dollar an Geschenken eingestrichen, Bush 59 Millionen Dollar.

Die Unkosten hat vor allem der dritte Mann im Rennen in die Höhe getrieben. Ross Perot hat innerhalb von vierzehn Tagen 40 Millionen Dollar für TV-Wahlkampfspots ausgegeben. Doch trotz unerschöplichem Geldbeutel ist die Perot-Euphorie nach seinem Wiedereinstieg in das Rennen vorerst verflogen.

Mit großem finanziellen Aufwand sind auch die christlichen Fundamentalisten in den Endspurt des Wahlkampfs eingestiegen. 40 Millionen „Wahlführer“ hat die erzreaktionäre „Christian Coalition“ des TV-Predigers Pat Robertson in den letzten Tagen an amerikanische Wähler und über 240.000 Kirchen verschickt, mit der Aufforderung, George Bush zu wählen. Anti-Abtreibungsgruppen haben ganzseitige Anzeigen geschaltet, in denen die Bibel herangezogen wird, um vor einem amoralischen Demokraten im Weißen Haus zu warnen. Der Kraftakt der Rechten zeigt vorerst nur eines: daß sie innerhalb und außerhalb der republikanischen Partei sehr gut organisiert ist. Ihre Wahlkampfaktivitäten dürften allerdings bei vielen WählerInnen den gegenteiligen Effekt erzielen: Gerade Frauen werden so noch einmal daran erinnert, daß nach weiteren vier Jahren Bush-Administration das Recht auf Abtreibung endgültig der Vergangenheit angehört.

Bill Clinton versucht unterdessen, sein Baby-Boomer-Image in Wahlstimmen umzusetzen und bedient sich dabei der breiten Unterstützung durch Rockmusiker und Schauspieler. Sonntag abend ließ er sich in New Jersey feiern – eingerahmt von Stars wie Richard Dreyfus, Glenn Close, Michael Bolton, Wynton Marsalis, Gregory Hines und Richard Gere. Zumindest auf diesem Feld hat er George Bush weit hinter sich gelassen. Der kann an Kulturprominenz nur Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger und Ronald Reagan aufbieten. Wieviele Menschen dieser Endspurt-Zirkus morgen zum Wahlgang mobilisiert, bleibt abzuwarten. Die Wahlbeteiligung dürfte dieses Mal etwas höher als vor vier Jahren liegen. Soll heißen: etwas mehr als die Hälfte der wahlberechtigten AmerikanerInnen machen von ihrem Stimmrecht Gebrauch.

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