: „Totschlag auf Raten“
■ HIV-verseuchtes Blut: Schwere Vorwürfe gegen Bundesgesundheitsamt
Bonn (taz) – Schwere Anschuldigungen gegen das Bundesgesundheitsamt (BGA) erhob gestern in Bonn der Arzneimittelexperte Moebius. Die Behörde habe von der Gefahr durch HIV-verseuchtes Blutplasma gewußt, sei aber untätig geblieben. Moebius warf dem BGA sowie den Pharma- Konzernen und den behandelnden Kliniken vor, „wissentlich ein Tötungsrisiko in Kauf genommen zu haben“. Er forderte den Rücktritt von BGA-Präsident Dieter Großklaus und dessen Kollegen Manfred Steinbach, der nachweisbar von der Verseuchung des Blutgerinnungs-Präparates PPSB der Firma Biotest gewußt habe.
Die Pharma-Firma hatte die Blutprodukte nur kalt sterilisieren lassen, um die Ausbeute an brauchbarem Plasma zu erhöhen. Dabei werden allerdings weniger HIV-Viren abgetötet als bei der üblichen Warmsterilisation. Auf Betreiben des stellvertretenden gesundheitspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Horst Schmidbauer, ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen Biotest.
Schmidbauer beschuldigte gestern das „Kartell des Schweigens“ aus Politik, Bundesgesundheitsamt und Pharmaindustrie, die Aufdeckung des Skandals zu verhindern. Es geschehe damit ein „Totschlag auf Raten“. Jetzt sei erstmals in einem Fall nachweisbar, daß ein Patient, der nicht Bluter ist, bei einem Routineeingriff 1983 durch ein verseuchtes Gerinnungsmittel HIV-infiziert worden sei. Von der Bundesregierung forderte Schmidbauer unbürokratische Hilfe für die Betroffenen sowie Reformen im BGA. Für die Hersteller bestehe immer noch keine Dokumentationspflicht durch die Vergabe von Chargennummern. Erst dies eröffne aber den Geschädigten den Rechtsweg.
Besondere Gefahr gehe von „internationalen Plasma-Kartellen“ aus, so Arzneiexperte Moebius, die in „Hochrisiko-Regionen“ wie den USA HIV-infiziertes Blutausgangsmaterial einkauften. Moebius und Schmidbauer forderten deshalb ein Verbot von Plasma-Importen und den Aufbau einer nationalen Blutversorgung. Myriam Schönecker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen