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Das gereckte Kinnbärtchen

■ Flüchtiger Spaß: „Faith No More“ in Huxley's Neuer Welt

Diese widerliche sülzende Melodie dröhnt unheilvoll durch den Raum. Es hört sich an wie gemeinstes endsiebziger Disco-Geblubber. Und ist doch „The Final Countdown“ von Europe, die Einleitung für das Konzert. Faith No More haben keine Berührungsängste, saugen wie ein Schwamm auf, was Erfolg hat und Geld einbringt.

Nichts paßt zusammen. Auf der einen Seite der Monsterrock mit den dräuenden Orgelwänden und der megamanischen Lightshow, die lauter bunte Flecken auf die Netzhaut brennt. Auf der anderen Seite ein Groove, der ganz leicht ist, und die Raps von Sänger Mike Patton, die zwar nicht gerade durch Informationsdichte glänzen, aber die Rhythmikidee von HipHop auf ein sprödes, schlichtes Punkniveau herabziehen. Zum dritten der Drang, momentan aktuelle Entwicklungen des Metal einzubauen und Felsbrockenriffs durch knüppelndes Stakkato anzureichern.

Faith No More sind älter als zehn Jahre, größenwahnsinnig waren sie schon immer, Platten-Titel wie „The Real Thing“ oder „Angel Dust“ legen davon Zeugnis ab. Und waren eine der erstaunlichsten Bands des Universums, weil sie es schafften, mit einer nahezu unverdaulichen Mischung jede Menge Platten zu verkaufen. Sie nutzen den Flohmarkt-Effekt aus: Jeder findet irgendwas, jedenfalls fast jeder. Inzwischen sind sie sogar Mode-Initiatoren: Patton hat sich die langen Zotteln abgeschnitten und einen Unterkinnbart wachsen lassen, der sich in vielerlei Formen und Ausführungen bei anderen Bands und im anwesenden Publikum findet.

Als wieder einmal ein Stück sehr balladesk beginnt, brummelt der stadtbekannte Comic-Zeichner Holger F. irgendwas von „ganz schön Mainstream“ und versichert kurze Zeit später, nur wegen eines speziellen Stücks da zu sein. Auch eine Ballade, aber „hat was“, meint er, und schüttelt bei den lauten Stellen begeistert den Kopf. Die beginnen, wenn Patton genug hat von der Ballade, das Kinnbärtchen in die Höhe reckt und alle losbollern, daß man die Orgel nicht hört, sondern spürt. Dann stört sich niemand daran, daß der Sound wie aus einer Grotte klingt. Die Leute sind froh. Sie können viel schwitzen und viel mitsingen. Sie können auch ihr eigenes Kinnbärtchen recken. Jedenfalls die, denen schon eines wachsen will. Die Jüngeren haben andere Insignien der Zugehörigkeit: Baseball-Caps oder die inzwischen unvermeidlichen Skimützen. Die Klasse von 1987 hat sich zum Treffen versammelt, zu jung für Punk und Wave, eigentlich zu weiß für HipHop. Und Faith No More bieten genau die Menge an schwarzer Musik, Metal und Hardcore, die ein Gymnasiast vertragen kann. Faith No More sind der perfekte Konsens, genau so ist auch ihr Konzert: nett und spaßig, kurzweilig wie gute Unterhaltung und genauso flüchtig im Gedächtnis. Thomas Winkler

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