: Die Erfolgsstory der Turnschuhforscher
■ AKW, Big Macs und Unterhosen: Das Öko-Institut Freiburg wird 15 Jahre alt
Das Päckchen kam gut verschnürt. Als Rainer Grießhammer, Leiter des Fachbereichs Chemie im Freiburger Öko-Institut, zu seinem blütenweißen Inhalt vorgestoßen war, hatte er eine Unterhose mit auffällig gedehntem Gummiband vor sich liegen. Die Forscher mögen doch bitte untersuchen, las er im beigelegten Brief, wie das vorzeitige Ausleiern des Hosenbundes zu erklären sei. Waschmitteleinfluß? Materialfehler? Waschmaschinenabrieb? Sonstige Einflußgrößen? Der Auftrag – durchaus ernstgemeint – blieb unerledigt, machte aber als originellste Bürgeranfrage Geschichte.
In den vergangenen 15 Jahren haben sich Zehntausende von Bürgern, Hunderte von Behörden und ein gutes Dutzend Ministerien an das „Institut für angewandte Ökologie“ gewandt. Und auch die Bundesregierung steht längst auf der Kundenliste. Keine Frage: Die Geschichte des Öko-Instituts ist eine Erfolgsstory. Das von 27 Personen und zwei festangestellten Kräften am 7. November 1977 ins Leben gerufene Institut hat sich in 15 Jahren zu einem hochangesehenen Wissenschaftsbetrieb entwickelt. Institutsmitglieder sitzen inzwischen in den Enquete-Kommissionen des Bundestages, und bei Anhörungen in Bonn wird die Meinung der Freiburger Forscher beinahe ebenso regelmäßig eingeholt wie die von Industrieverbänden und Gewerkschaften. Zum kleinen Jubiläum erwies auf Anfrage auch Umweltminister Klaus Töpfer den Wissenschaftlern die Ehre: „Wir sind froh, daß es solch ein Institut in der Bundesrepublik gibt. Es hat wesentlich zur ökologischen Bewußtseinsbildung beigetragen, wichtige Gutachten veröffentlicht und wertvolle Verdienste bei der Politikberatung erworben.“
Aus den zwei Mitarbeitern des Instituts sind inzwischen 65 geworden. Aus dem kleinen Karteikasten mit den Adressen „kritischer Wissenschaftler“, die in den frühen Jahren an Bürgerinitiativen vermittelt wurden, entstand ein professionelles Institut mit sechs Fachbereichen. Zu den Hauptproblemen gehört heute das schnelle Wachstum: Von 1,2 Millionen (1984) über 2,4 Millionen (1988) auf heute knapp 6 Millionen ist der Etat der Freiburger Forscher regelrecht explodiert. Und auch die Zahl der Mitarbeiter hat sich seit 1988 nochmals verdoppelt. „Wir werden langsam zu groß“, stöhnt Institutssprecher Jörn Ehlers.
1977 hatten die Väter und Mütter des Instituts noch andere Sorgen. „Wir dürfen die Forschung nicht länger Staat und Industrie überlassen“, hieß ein Kernsatz der Gründungserklärung. „Kampf für eine menschenwürdige Zukunft“, „Abwehr drohender Gefahren“, aber vor allem: Unterstützung der Bürgerinitiativen gegen die „Phalanx der Experten aus Verwaltung und Industrie“ wurden damals die Ziele formuliert. Und drei Ortsnamen waren angefügt: Wyhl, Brokdorf, Kalkar. Dort war guter – wissenschaftlicher – Rat teuer.
Der Atomkonflikt stand im Mittelpunkt der frühen Jahre, die Energiepolitik und Reaktorsicherheit wurden zur großen Domäne des Instituts. „Entscheidend war“, erinnert sich Robert Jungk, „das Zusammenspiel mit der Massenbewegung“. Während die Ökologiebewegung auf der Straße Druck machte und an den AKW-Standorten am Bauzaun rüttelte, lieferte das Öko-Institut Risikoberechnungen, Gegengutachten und Alternativszenenarien. Die Korrektur der irrwitzigen Atompläne, das Ende der Projekte Schneller Brüter, WAA und Hochtemperaturreaktor ist wesentlich von der Arbeit des Instituts beeinflußt worden, dessen inzwischen ausgegliederte „Atom-Filiale“ in Darmstadt auch für Journalisten zur wichtigsten Informationsquelle wurde und es bis heute geblieben ist. „Das Öko-Institut“ sagt der Berliner Energieforscher Lutz Mez, „hat die Gegenexpertise in Deutschland hoffähig gemacht“.
Mit der Studie zur Energiewende (Krause, Bossel, Müller- Reißmann) war dem Institut 1980 der Durchbruch gelungen. Wissenschaftlich überzeugend wurde hier eine Alternative zur Megawatt- Philosophie der Energiekonzerne formuliert, fünf Jahre später wurde ihre Machbarkeit nochmals konkretisiert („Die Energiewende ist möglich“). Weitere Meilensteine waren die Muttermilch-Studie, der „Öko-Knigge“, die Ausstiegsszenarien nach Tschernobyl, Gutachten zu den Hanauer Atombetrieben und zuletzt die Arbeiten zur Gentechnik. Bis heute wurden 682 Projekte bearbeitet. Aber: „Wir haben es uns immer geleistet, Aufträge abzulehnen“ (Ehlers).
Den größten Hauskrach löste ein Auftrag des Fast-food-Braters McDonalds aus. Die imagegeschädigte Freßkette wollte beim Öko- Institut ihr Verpackungskonzept analysieren lassen. Ein Teil der Wissenschaftler war bereit, die Studie anzunehmen, die anderen wollten sie von der Verpackung auf den Inhalt ausdehnen und „dann auch was zu den Hamburgern sagen“. Der Streit führte zur Abspaltung der Befürworter, die den Auftrag unter eigenem Ticket ausführten („Inzwischen redet man wieder miteinander“).
In Sachen Öko-Sponsoring blieb man bisher zurückhaltend. Als ein Pharma-Unternehmen anklingelte und seine pekuniären Dienste anbot, wurde dies schon im Vorfeld abgelehnt. Auf der anderen Seite bestanden Ängste, als wissenschaftlicher Zulieferbetrieb der Grünen abgestempelt zu werden. Mit dem in Zeitungsannoncen verbreiteten Aufruf eines Institutmitglieds zur Wahl der SPD hatte auch dieser Verdacht ein Ende.
Leidenschaftliche Debatten, die zum Teil in der Instituts-Zeitung „Öko-Mitteilungen“ dokumentiert wurden, hat immer wieder die Organisationsstruktur ausgelöst. Das Institut wird von einem Verein mit heute 5.500 Mitgliedern getragen. Jedes „Normal-Mitglied“ zahlt im Jahr 120 Mark Beitrag. Die Mitgliederversammlung als – formal – höchstes Organ wählt den Vorstand, der die wichtigen Entscheidungen fällt. Faktisch, so berichten Institutsangehörige, hätten aber die Bereichsleiter, die mit ihren Projekten „die Kohle reinholen“ und sich regelmäßig mit der Geschäftsführung zur Elefantenrunde treffen, mehr Einfluß. Wie in der taz hat jeder Betriebsangehörige von der Sekretärin bis zum Projektleiter eine Stimme.
Bei einer wachsenden Abhängigkeit von Fremdgeldern sind eigenfinanzierte Studien inzwischen seltener geworden. Und hier setzt auch die Selbstkritik an. Das Institut sei so stark mit Aufträgen beschäftigt, sagt der langjährige Geschäftsführer Matthias Bergmann, daß „immer weniger Zeit bleibt, um über große Würfe nachzudenken“. Das deckt sich mit der Einschätzung von Robert Jungk, der dem Institut wieder mehr Raum für soziale Phantasie wünscht.
Wie sehr die Arbeit des Instituts auch in der Öffentlichkeit anerkannt wird, bewies zuletzt die Anfrage eines Schulamts. Als im Frühjahr in Sosnovy Bor der Reaktor glühte, sorgte sich die Behörde um eine nach Petersburg gereiste Schülergruppe. Um eine Rückrufaktion einzuleiten, bemühte das Amt weder Reaktorsicherheitskommission noch Umweltministerium. Es wandte sich ratsuchend an das Öko-Institut. „Niemand kann sich vorstellen“, sagt Jörn Ehlers, „was hier an Katastrophentagen los ist“. Manfred Kriener
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