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Eine Ära wird zu Grabe getragen Von Andrea Böhm

Dies ist ein Nachruf – also eine verdammt ernste Angelegenheit. In Washington wird demnächst die Ära Dan Quayle zu Grabe getragen. Wohlgemerkt, die Ära, nicht der Mann selbst. Der ist quietschfidel, und das gibt allen Satirikern, Cartoonisten und Kolumnisten Hoffnung für 1996.

Doch für die nächsten vier Jahre ist unsere Zunft endlich wieder richtig gefordert. Versuchen Sie mal, sich über Al Gore lustig zu machen. Der Mann ist nicht nur alphabetisiert, sondern auch rhetorisch begabt, er sieht gut aus und weiß, wann der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat. Gore ist kein Vizepräsident, der beim Besuch einer Aids-Station fragt, ob die Patienten mit DDT behandelt werden.

Am härtesten trifft der Machtwechsel die Kollegen und Kolleginnen einer der herausragendsten Fachzeitschriften der letzten vier Jahre: The Quayle Quarterly. Alle drei Monate lösten diese Journalisten ihr publizistisches Versprechen ein, „ein wachsames Auge auf den Vizepräsidenten“ zu werfen. Der QQ dokumentierte erbarmungslos jede Freudsche Fehlleistung, jede sich offenbarende Bildungslücke und jede politische Entgleisung des Vizepräsidenten. Das war Lesestoff genug, um sich eine Auflage von 12.000 aufzubauen und zu erhalten. Wenn es die journalistische Sorgfaltspflicht denn erforderte, nahmen sie den Vize auch in Schutz. Zum Beispiel gegen dieses miese Gerücht, Quayle hätte aufgrund von Sprachproblemen bei einem Besuch in Lateinamerika bedauert, in der Schule kein Lateinisch gelernt zu haben. Hat er nie gesagt. Es hätte natürlich keinen gewundert, wenn er's gesagt hätte.

Außerdem zeigt der tragische Fall des Cort Kirkwood, was passiert, wenn man über Dan Quayle die Unwahrheit schreibt. Kirkwood war entweder besoffen oder hatte keine Lust mehr auf seinen Job bei der rechtslastigen und regierungstreuen Washington Times, als er im Mai diese Nachricht ins Blatt schmuggelte: „Vizepräsident Quayle hat sich gestern bei einem Golfunfall schwer verletzt. Quayle schlug den Ball, geriet ins Stolpern und stürzte kopfüber in eine Sanddüne, wo er sich den Hals ausrenkte. Der Ball fiel glücklicherweise ins Loch, was dem Vizepräsidenten einen Eagle einbrachte (Anmerkung für Golflaien: Eagle– zwei Schläge unter par). Mit einer Nackenkrause versehen, erholt sich Quayle im Streckbett auf der Intensivstation des Cedars Sinai Krankenhauses.“ Kirkwood wurde natürlich gefeuert, und die Washington Times entschuldigte sich tausendmal bei ihren Lesern.

Das Quayle Quarterly wird zum Jahresende noch einmal eine Abschiedsausgabe mit allen Höhe- und Tiefpunkten ihres Danny Boy herausgeben. Chefredakteurin Deborah Werksman hat schon das nächste Zeitungsprojekt mit dem Titel Hysterie in Arbeit. Darin soll es um „Frauen, Humor und sozialen Wandel“ gehen. Das klingt längst nicht mehr so lustig.

Aber das Ende des Quayle Quarterly und der Bush/Quayle- Regierung war nun mal unvermeidlich, wie die Detroit News herausgefunden hat: „Mit Quayle wurde 1988 zum zehnten Mal ein Vizepräsident gewählt, dessen Name mit einem E endet. In jedem dieser Fälle starb der gewählte Präsident im Amt, oder er wurde erschossen oder nicht wiedergewählt.“ Clinton, paß auf.

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