: Kritik ist erlaubt
■ betr.: "Dumme Fragen müssen erlaubt sein", Kommentar von Henryk M. Broder, taz vom 6.11.92
betr.: „Dumme Fragen müssen erlaubt sein“, Kommentar von Henryk M.Broder,
taz vom 6.11.92
Antisemitismus ist, wenn Juden als Juden verachtet, diskriminiert, verfolgt, aus ihrer Heimat vertrieben, gequält und ermordet werden. Antisemitismus ist aber auch, wenn Kritik an Jüdinnen und Juden derart tabuisiert wird, daß sie vor lauter Angst, daß sie als Antisemitismus bezichtigt werden könnte, unterlassen werden muß. Jüdinnen und Juden werden dadurch als Unberührbare gebrandmarkt, was einem Ausschluß aus der menschlichen Gemeinschaft gleichkommt. Es ist ein großer Unterschied, Bubis nach Israel schicken zu wollen (so hat es der Rostocker Stadtrat doch wohl gemeint) oder ihn für gewisse Tätigkeiten, durch die er in der Vergangenheit bekannt wurde, zu kritisieren. Wer solche Unterschiede verwischt, macht sich einer bestimmten Art von Antisemitismus, dem der Tabuisierung von Jüdinnen und Juden nämlich, selbst schuldig.
Henryk Broder verfolgt in seinem Kommentar seine altbekannte Intention, Linken einen Maulkorb in bezug auf Kritik an Israel oder an jüdischen Personen zu verpassen. Daß es ihm dabei um die Hatz gegen Linke und gar nicht um den Antisemitismus geht, wird dadurch deutlich, daß er meint, man könne Schmidt (Rostock) jetzt ruhig laufen lassen und solle statt dessen lieber die Linken, die AL und die taz endlich fassen. Dadurch, daß er bei dieser Gelegenheit auch mich „zurücktreten“ will, gewinnt die ganze Sache allerdings eine neue Dimension: Nicht nur Linke dürfen Juden nicht kritisieren, linke Juden bzw. Mischlinge müssen dafür ganz besonders heftig gehauen werden, zum Beispiel dadurch, daß Gedrucktes falsch und sinnentstellend zitiert wird (wer kann das schon nachprüfen, in einem Leserinnenbrief, der vor drei Monaten veröffentlicht wurde) oder dadurch, daß die Zugehörigkeit der Autorin zur gleichen Verfolgtengruppe, der Bubis vorsteht, unterschlagen wird.
Nein, es darf in Deutschland auch in schlechten Zeiten nicht verboten sein, Angehörige verfolgter Gruppen zu kritisieren. Die Kritik an einem Juden, wegen der Art und Weise, wie er sich als Hausbesitzer gebärdet, ist ebensowenig antisemitisch, wie beispielsweise die Abwehr von aufdringlichem männlichen Verhalten nichtweißer Männer durch Frauen rassistisch ist.
Ganz nebenbei gesagt, wird eine Kritik an Bubis im Vorfeld seiner Wahl auch dadurch nicht verwerflich, daß er seine Arbeit als Vorsitzender des Zentralrates der Juden im Moment hervorragend macht. Jutta Oesterle-Schwerin
Voll bebender Ungeduld wartete der Henryk-M.-Broder-Fanclub seit Beginn der rassistischen Pogrome in Deutschland auf ein Zeichen des Meisters. Aber dem hatte es anscheinend die Sprache verschlagen. Verständlich, muß es einen beinharten Rechten wie Broder doch zutiefst schmerzen, daß nicht etwa die von ihm mit fanatischem Haß aufs Korn genommenen Linken Molowcocktails in Asylbewerberheime werden oder jüdische Friedhöfe schänden oder derartige Taten unzureichend verfolgen, sondern Leute, die eher seiner Position nahestehen.
Doch gemach, gut Ding will Weile haben. Inzwischen hat der große Essayist endlich den nun wirklich atemberaubenden Dreh gefunden: Die Linken sind schuld an der Entwicklung, weil sie den „Antisemitismus in der Bundesrepublik wieder salonfähig gemacht“ haben. Unter ihnen namentlich die Ex-Bundestagsabgeordnete der Grünen Jutta Oesterle-Schwerin.
Nun reicht die Realität leider für diesen Vorwurf nicht aus. Frau Oesterle-Schwerin hatte in einem Leserbrief zur damals bevorstehenden Wahl Ignatz Bubis als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland in einem Leserbrief an die taz die Frage gestellt, „muß der zukünftige Repräsentant der Juden in Deutschland unbedingt ein Häuserspekulant sein?“ Eine Frage, die sich sicher viele zu recht gestellt haben, die Häuserspekulation ablehnen. Daß sich die Wahl von Bubis – Spekulation hin, Spekulation her – unterdessen als ein großer Gewinn nicht nur für die jüdische Gemeinde, sondern für die demokratischen Kräfte in Deutschland überhaupt erwiesen hat, macht die damalige Frage ja nicht unberechtigt.
So kann man mit dem Leserbrief also keinen Blumenpott gewinnen. Den bösen Dreh kriegt das Zitat erst durch eine winzige Veränderung. Nach Broder hat Jutta Oesterle-Schwerin nämlich gefragt: „muß jeder zukünftige Repräsentant der Juden in Deutschland ein Häuserspekulant sein?“ – was natürlich den Gedanken nahelegt, daß die schachernden Juden eben generell nur Häuserspekulanten anzubieten haben. Und schon haben wir den gewünschten antisemitischen Zungenschlag.
Und wie das Schicksal so spielt, „vergißt“ Broder ganz zufällig zu erwähnen, daß die von ihm des Antisemitismus Geziehene selbst aus einer jüdischen Familie stammt. Es ist bekannt, daß Herr Broder Juden nicht das Recht zugesteht, politische Zusammenhänge anders als er zu bewerten und sich eigenständige Gedanken darüber zu machen, von wem sie sich repräsentieren lassen wollen. Aber im vorliegenden Zusammenhang machte es sich dann doch noch viel besser, wenn man diese störende kleine Nuance einfach ganz wegläßt.
Das altbekannte demagogische Strickmuster: Nimm ein Körnchen Wahrheit, einen durchaus diskussionswürdigen Grundgedanken, dazu ein durch eine winzige „Korrektur“ passend gemachtes Zitat und laß eine wichtige Information weg: schon hast du einen echten Broder. Mit dieser Methode bemüht sich Broder schon seit mindestens 20 Jahren, Linke oder solche, die er dafür hält, zu diskreditieren, mit dieser Methode hat er seinerzeit den von ihm erfundenen linken Antisemitismus „belegt“ und mit ihr Alice Schwarzer des Antisemitismus „überführt“.
Inzwischen wird die Brodersche Beweisführung aber selbst nach der üblichen Realitäts-Retusche so abstrus, daß man eigentlich nur noch lachen kann. Trotzdem frage ich mich, wer von dieser absurden Desinformationskampagne eigentlich profitiert und wem sie dienen soll. Werner Borsbach, Hamburg
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