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Perlen vor die Säue

■ Rosa von Praunheim zerfilmt das Leben des Ostberliner Transvestiten Charlotte von Mahlsdorf, geb. Berfelde

Charlotte von Mahlsdorf alias Lothar Berfelde, der DDR-Transvestit mit dem ewig angeknipsten Lächeln über der Perlenkette, lebt ein schnurriges Leben, das für drei reichen würde. Rosa von Praunheim, der in den 70er Jahren steckengebliebene schwule Filmemacher, hat einen leblosen Film daraus gemacht und die Perlen vor die Säue geworfen.

„Ich bin meine eigene Frau“ ist betulich, redundant und geschwätzig. Unentschieden vermischt Praunheim hölzerne Spielszenen (stolz „Spielfilmebene“ genannt) mit Interviewsequenzen und Dokumentarischem. Da rumpelt der Schnitt, da schauspielern Laien ganz schauderhaft und Schauspieler führen dilettantische Interviews zu fetter Geigenmusik.

Immer wenn eine Schlüsselszene aus dem Leben von Lothar Berfelde (Jahrgang 1928) gerade schulfunkig nachgespielt ist, muß dieser selbst in die Szene laufen und krampfhaft vom Manuskript plaudern: „Ja, mein Junge“, sagt er zu dem Schauspieler Jens Taschner, der ihn als 15jährigen unter dem gewalttätigen Vater leidend mimt, „so wie du das spielst, habe ich das alles erlebt“. Dann muß der junge Mann den alten Berfelde betroffen anschauen und sich die schrecklichen Kindheitserlebnisse anhören. Oder Ichgola Androgyn, die Berliner Tunte, die die ältere Charlotte darstellt, fragt das echte Lottchen pseudonaiv: „Sag' mal, wie soll ich Dich eigentlich darstellen als 20jährigen?“ Praunheim traut seinem Konzept zu Recht selbst nicht und richtet eine ungewollte Komik an: Das, was da gerade unglaubwürdig gespielt wurde, soll – durch Berfelde als Erzähler bestätigt – ganz „wie in echt“ sein. So kann nicht die Dramatik entstehen, die Charlottes Leben wirklich hatte – „im taillierten Mantel durch den Endkampf schwuchtelnd“ wäre sie etwa beinahe von einem Erschießungskommando getötet worden. Auch die Komik kommt zu kurz: Ein alberner mechanischer Kartoffelschäler aus dem 19. Jahrhundert, der in Lottchens Küche in Aktion gezeigt wird, und ein abgespielter DDR-Polit-Schlager sind schon der Gipfel des Witzigen.

Seine albernen Rückversicherungen hätte sich Praunheim sparen können, wenn er den Mut zur Recherche und zu einem ausgewachsenen Dokumentarfilm gehabt hätte. Dann wäre auch die Person „Lottchen“ zu ihrem Recht gekommen, deren altmädchenhafte Stimme diesen Film ein wenig rettet. Dann hätte nachgehakt werden können in diesem Plauder- Schwall. Immer wenn es spannend wird – etwa wenn Charlotte und eine Gruppe von Schwulen und Lesben aus der DDR die Geschichte der Bewegung erzählen –, dann kommt eine dieser preiswert abgespulten Spielszenen dazwischen.

Praunheim pflegt sich über die Persönlichkeiten seiner Filme herüberzustülpen. Etwas Gutes wird daraus nur, wenn sich die Porträtierten ein wenig dagegen wehren dürfen. Diesmal hat der Regisseur den Zugang zu einer Figur der schwulen Geschichte gründlich und auf lange Zeit verbaut. Die gleichnamige Buch-Biographie aus der Berliner „edition di'a“ gibt hoffentlich mehr Aufschluß über Charlotte von Mahlsdorf, geb. Berfelde. Hans-H. Kotte

„Ich bin meine eigene Frau“ von Rosa von Praunheim, Deutschland, 1992, 90 min.

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