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Glotzt nicht so romantisch!

■ Danièle Huillets und Jean-Marie Straubs „Antigone“

Eine kleine Fangemeinde verteidigt seit Jahren die sperrigen Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub mit einer Emphase, die der rigorosen Haltung der Filmemacher in nichts nachsteht. Auch ihr neuester Film „Antigone“, der wie „Der Tod des Empedokles“ einen Theaterstoff aufnimmt und ihre Auseinandersetzung mit Hölderlin fortführt, ist gekennzeichnet durch einen asketischen, reduktionistischen Stil: die Einstellungen sind lang, die Schnitte streng, die Dramaturgie statisch. Gespielt werden darf nicht, gezeigt wird die pure Rede, reinster Purismus ist das Ziel.

Gedreht wurde in Segesta/Sizilien, in den Ruinen eines der ältesten Amphitheater Europas. Dieser Ort wurde bereits in der theatralischen Version derselben „Antigone“, die Straub/Huillet an der Probebühne der Berliner Schaubühne vor etwa anderthalb Jahren realisiert haben, durch bemalte Kulissenwände dargestellt. Die Theaterarbeit als Vorstudie für den Film: es wirken die gleichen Schauspieler mit; eine Mischung aus Professionellen und Laien. Zwei Frauen, Antigone (Astrid Hofner) und ihre Schwester Ismene (Ursula Ofner), stehen in der Eingangssequenz nebeneinander, die Hände seitlich angelegt. Der Abstand zwischen ihnen ist so groß, daß sie einander nicht berühren könnten. In ihrem Rücken die Ebene, die Berge, das Meer, ein bezaubernder Terrassenblick. Die Frauen aber starren nach vorne, sehen sich auch beim Sprechen nicht an. Die Kamera erfaßt sie seitlich, mal in voller Statur, mal nur das Profil der Sprechenden, meist etwas von unten oder von oben. Der Wind bauscht die langen Gewänder, nestelt an den zurückgekämmten Haaren. Zu den Füßen der einen steht eine Urne, die Asche des toten Bruders, den Antigone gegen das Gesetz und das Wort Kreons beerdigen wird. Dafür läßt sie der König lebendig einmauern.

Mindestens drei Autoren hat diese „Antigone“: Sophokles, die freie Übersetzung Hölderlins, und die dramatische Bearbeitung von Brecht, 1948 aufgeführt.

Brecht hat vor allem das Ende des Stücks politisch zugespitzt, sich in großen Teilen aber auf die Hölderlinsche (keineswegs buchstabengetreue) Übertragung aus dem Griechischen verlassen. Die Schauspieler rezitieren den Text nicht, ihr Sprachgestus ist nicht deklamatorisch, sondern antipsychologisch. Sie versetzen das Versmaß, setzen Zäsuren an ungewohnter Stelle, sie zerkauen den Text gewissermaßen in entäußerlichter, fast unbeteiligter Manier.

Ein Hörspiel, das nur als Schauspiel funktioniert: das Gesicht Antigones im Blätterwerk der Bäume; das Gesicht des blinden, in die Sonne blinzelnden Sehers Teresias (Albert Hetterle); der schlohweiße Kreon (Werner Rehm), der einmal in dramatischer Aufwallung die Hände gen Himmel reißt und das Kriegsrecht verteidigt; die vier Alten, die in einer Reihe postiert sind, und die Mauer, die während des chorischen Sprechens der Alten wie ein abstraktes Bild eingeblendet wird. Nur einmal, im Schlußbild, öffnet sich das Kameraauge und versenkt sich in die ferne Landschaft. Der Abspann läuft, Hubschrauber- oder Kampfflugzeuggeräusche dröhnen durch die Naturstille; unweit des alten Amphitheaters von Segesta liegt ein Militärflugplatz.

Ein Schauspiel der Natur, aber kein verfilmtes Theater. Zwar ist die Szenerie naturalistisch und keine Kulisse, aber dennoch handelt es sich nicht um Naturalismus, wie ihn das Theater sonst kennt: der konkrete Ort, das alte Amphitheater, ist allgemein und abstrakt zugleich. Hier wird kein Salon und kein Marktplatz simuliert. Die Geschichte, ein Allgemeinplatz.

Als Straub/Huillet die „Antigone“ für die Probebühne der Schaubühne in Berlin einstudierten, war gerade der Golfkrieg ausgebrochen. Jean-Marie Straub verkündete nach der Premiere im Mai 1992, daß er das Stück auch den hunderttausend Irakern widme, die unter dem „neuen Führer George Bush“ umgebracht worden seien. Seine politisch radikale Haltung erklärt, warum sie sich für die Brecht-Version entschieden haben: Kreon wird zum Potentaten und Kriegstreiber, die Alten entpuppen sich als Mitläufer, und nur Teresias traut sich, neben Antigone natürlich, die Wahrheit zu sagen. Ästhetisch gehen Straub/ Huillet ebenfalls radikal vor, radikal konservativ: das heißt Besinnung auf den Text, Konzentration, Meditation, Dekonstruktion. Der Bildaufbau, der eine elementare Spannung schafft, ist streng komponiert: die Kamera ist an fixer Stelle postiert, rechts die Alten in einer Reihe, links die Frauen und Kreon. Die Kamera wird hoch und herunter gefahren, verschiedene Brennweiten benutzt: Nahaufnahme, Halbnahe, Halbtotale. Geht einer der Schauspieler ab, folgt ihm die Kamera nicht, sondern bleibt an Ort und Stelle. Sie schwenkt nicht, sie verharrt bei den Personen, in langen ruhigen Einstellungen. Aus der theatralischen Versuchsanordnung ist kein Entkommen.

Der Unterschied zwischen den professionellen Schauspielern und den Laien ist hörbar; überspielt werden darf er nicht. Zwar nehmen sich Werner Rehm als Kreon, Albert Hetterle als Teresias oder auch Libgart Schwarz als Botin sehr zurück, dennoch ist ihre Art, die Worte und Zäsuren zu setzen, auch gegen den Strich gelesen, sehr viel kunstvoller.

Und der Kunstgenuß? Darf es den geben? Es gehe darum, überhaupt wieder richtig hinsehen und richtig hinhören zu lernen, sagen die Liebhaber der Straub/Huillet- Filme. Als seien sie mehr in den theoretischen Ansatz als in den Film verliebt. „Glotzt nicht so romantisch“ – hieß es damals schroff bei Brecht. Sabine Seifert

„Antigone“ nach Sophokles/Hölderlin/Brecht. Regie: Danièle Huillet und Jean-Marie Straub. Kamera: William Lubchtansky. Mit Astrid Ofner, Werner Rehm, Albert Hetterle. Deutschland/ Frankreich 1992. 99 Min.

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