: Tschetschenien: Konflikt abgewendet?
■ Russische Panzer abgezogen/ Ausnahmezustand verhängt
Moskau (taz) – Ein drohender Konflikt zwischen Russen und Tschetschenen ist zunächst abgewendet worden. Am Mittwoch begannen die russischen Panzerkolonnen, sich von Stellungen an der Grenze zwischen Tschetschenien und Inguschien zurückzuziehen, die sie am Vortag bezogen hatten. Der russische Vizepräsident Ruzkoi erklärte: „Einen Krieg zwischen Rußland und Tschetschenien wird es niemals geben.“
Damit scheinen die russischen Truppen einem Ultimatum des tschetschenischen Präsidenten Dschohar Dudajew gefolgt zu sein. Bis Mittwoch hatte dieser den russischen Einheiten Zeit gegeben, um sich zurückzuziehen, ansonsten würden die Hauptstädte Inguschetiens und Nordossetiens „in die Luft gejagt“. Dudajew, ehemals Kommandierender einer sowjetischen Luftwaffeneinheit, forderte seine Landsleute auf, „die Unabhängigkeit Tschetscheniens zu verteidigen“, verhängte den Ausnahmezustand und ordnete die Mobilmachung an.
„Rußland sollte nicht vergessen, wo die Grenzen Tschetscheniens sind“, sagte Dudajew und spielte damit auf schmerzliche historische Erfahrungen des Zarenreiches an. Jahrzehnte dauerte die Unterwerfung der nordkaukasischen Völker im 19.Jahrhundert. Unzählige Opfer waren zu beklagen, die imperiale Großmacht trug erhebliche Blessuren ihres Selbstwertgefühls davon. Heute nun weilen russische Emissäre vor Ort, um zwischen den rivalisierenden Inguschen und Osseten zu vermitteln. Die kleinen nordkaukasischen Republiken sind bis auf Tschetschenien, das die Unterschrift unter den Föderationsvertrag 1991 verweigerte, alle Subjekte der Russischen Föderation. Tschetscheniens Status ist bis dato ungeklärt. Es besteht Gefahr, daß Dudajew, einer der übelsten Brandredner der Region, die russische Intervention nutzt, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Inguschetien hat sich selbst im letzten Jahr aus dem Verband der Republik Tschetscheno-Inguschetien losgelöst. Rußland jedoch tat so, als hätte sich in der Region nichts verändert.
Seit langem bastelt Dudajew an einer neuen pankaukasischen Union. Eine ihrer ersten Organisationen ist die „Konföderation kaukasischer Bergvölker“, die im Untergrund der einzelnen Republiken staatliche Schattenstrukturen aufgebaut hat, die sich oftmals aus kriminellen Kreisen rekrutieren. Die unzähligen Ethnien im Kaukasus waren sich gegenseitig nie wohlgesonnen. Der gemeinsame Feind Rußland könnte vorübergehend Gräben überbrücken, so mögen Dudajews Überlegungen lauten. Klaus-Helge Donath
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen