■ Neu im Kino:
: In bin meine eigene Frau

Neu im Kino:

Ich bin meine eigene Frau

Ein guter Film ist wohl das Letzte, was man jetzt von Rosa von Praunheim erwartet hätte. Seine Selbstinszenierungen und Petzereien haben inzwischen jeden Unterhaltungswert verloren, und von den immerhin zehn Film- und Videoproduktionen der letzten fünf Jahre bleibt nur die affengeile Witzkarriere der Lotti Huber in Erinnerung. Jetzt hat sich von Praunheim eine neue Muse gesucht und dabei das Glück gehabt, mit Charlotte von Mahlsdorf einen interessanten, sanftmütigen und talentierten Zeitzeugen gefunden zu haben, der sich nicht so zum Affen machen läßt wie die meisten von Praunheims Selbstdarstellern und Paradiesvögeln.

Die abenteuerliche Lebensgeschichte von Charlotte von Mahlsdorf, geborener Lothar Berfelde, wird in einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm erzählt. Zuerst überwiegen die fikitiven Szenen, in denen Jens Taschner und Ichgola Androgyn Charlotte als Jugendliche oder 20 bis 40jährige spielen: Die schwere Kindheit mit dem autoritären, nationalsozialistischen Vater, das gefährliche Leben als Transvestit im dritten Reich und danach die Plagen der Ebene in der lustfeindlichen DDR — davon wird in einfachen, fast naiv anmutenden Schlüsselszenen erzählt, die manchmal direkt von Charlotte unterbrochen werden: „Ja Jungchen, so wie du das jetzt gespielt hast, habe ich das wirklich erlebt.“

Diese inszenierten Episoden sind pures Schwulenkino und vollgestopft mit homoerotischen Reizen wie Uniformen, Reitpeitschen, viel Körperhaaren, Männern in geöffneten Miedern, usw. Aber diese Praunheimitäten werden durch Charlotte von Mahlsdorfs ganz selbstverständlichen und souveränen Umgang mit ihrer Sexualität in Schach gehalten. Wenn sie sagt: „meine weibliche Zurückhaltung hat mich vor manchem Ungemach bewahrt“, spricht sie zwar direkt von ihren Erfahrungen in den Ostberliner Klappen der 50er Jahre, aber der Satz trifft auch, warum dieser Film so gut gelungen ist.

Neben den schrillen Bildern und Geschichten aus dem schwulen Leben von 1920 wird die Lebensgeschichte eines bescheidenen, sanftmütigen aber standhaften Zeitzeugen der deutschen Geschichte erzählt. Im letzten Jahr mußte Charlotte miterleben, wie 70 Rechtsradikale ein von ihr veranstaltetes schwul-lesbisches Sommerfest überfielen. In diesem Jahr wurde ihr als vorerst letzte Pointe das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Ein aufregendes Leben, obwohl ihr Lebensideal das eines Dienstmädchens der Jahrhundertwende ist. Ihr „ich hätte mich ja auch umbringen können, aber wer hätte dann staubgewischt und die Uhren aufgezogen“ ist einer der witzigsten und couragiertesten Sätze, die in letzter Zeit im Kino zu hören waren. Wilfried Hippen Cinema 20.45 Uhr / heute abend ist Charlotte von Mahlsdorf im Kino anwesend.