: Immer der neueste Stuff
■ Studie über Computerspiele in Bremen zeigt: Die Kurzen spielen alles, die Alten wissen nichts / Die Bremer Computerkids, 6. Folge
Fast alles, was in Bremen kreucht und 8 bis 18 Jahre alt ist, Mädchen inklusive, hat Zugang zu einem Computer; und tut damit nichts als spielen und nochmal spielen, die Mädchen nur noch nicht so oft. Das Einstiegsalter sinkt noch weiter, und auf den bremischen Schulhöfen kursiert immer der neueste Stuff. Es wird getauscht und schwarz kopiert, was das Zeug hält, und es gibt kein Spiel auf Erden, welches sich die Kids nicht besorgen könnten.
Das unter anderem hat eine Umfrage ergeben, die der Sozialwissenschaftler Friedemann Schindler im Auftrag des Lidice- Hauses an hiesigen Schulen gemacht hat. Die taz hatte bereits am 14. März über erste Ergebnisse berichtet; gestern nun wurde vom Jugendressort, welches das Projekt gefördert hatte, die Endfassung in Buchform vorgestellt.
Am Ende ächzte der Staatsrat Hoppensack ein wenig: „Ich glaube, wir müssen das jetzt erstmal als Normalität annehmen“. Es hat in der Tat noch in keinerlei Öffentlichkeit eine Rolle gespielt, daß das durchschnittliche bremische Kind 50 Spiele in der Diskettenbox hat, 45 davon als Raubkopien, nebenbei auch Gewaltspiele drunter, Pornogerammel, Nazischrott. Zweitens hat die Studie gezeigt, daß selbst die allerzuständigsten Erwachsenen keine Ahnung haben, was sich tut: Die befragten Pädagogen schnitten, was ihr Wissen um Spiele und ihre Verbreitung betraf, noch zehnmal schlechter ab als die am schlechtesten informierten Jugendlichen.
Unter den Alten ist also, wie es scheint, die gängige Spielerei nach wie vor igitt. Die Kids aber in ihrem Abseits kommen mittlerweile selbst mit „problematischen“ Spielen gut klar; das ist einer der erstaunlichsten Aufschlüsse, die die Studie gibt. Fast alle haben die härtesten Sachen mindestens schon mal durchprobiert, in der Kategorie der Lieblingsspiele jedoch sind etwa Nazi- und Sexschinken ohne jede Bedeutung; da rangieren die gut gemachten Geschicklichkeitsspiele ganz oben.
Selbst die „Experten“ für Hardcore-Spiele sehen das genau wie der Durchschnitts-User. Der häufige Umgang mit Gewalt scheint also nicht direkt zu prägen; für die Pädagogenschreckgestalt des autistischen Ballermonsters jedenfalls fand Schind
hierhin bitte
das sonderbare
Foto von dem halben
Kind im wüsten Raum
„Paulinchen war allein zuhaus“, mit anderen Worten: Wenn Kinder zu sehr spielenFoto: Joel-Peter Witkin, „Las Meninas“, 1987
ler kaum Belege. „Bei den meisten Spielen hat es nichts mit dem Thema zu tun“, sagte ihm mal ein 14jähriger Realschüler, „sondern ob es Spaß macht.“
Auch die etwaige Ideologie scheint allen herzlich egal zu sein. Jedes Spiel ist erst mal Stuff und hat gut gemacht zu sein; schwindet der Spaß, spielt es keine Rolle mehr. Am schnellsten ereilt dieses Schicksal die Nazi-Spiele; solange sie jedenfalls noch so peinlich dilettanisch daherkommen wie bislang, sind sie eigentlich, sagt Schindler, bloß als „Kuriositäten für die Sammlung“ von Bedeutung. Nur die männlichen Hauptschüler haben eine auffallend stabile Affinität zur großen Gruppe der Gewaltspiele; dies ist denn auch für Schindler „vielleicht das einzig wirkliche Problem“.
Wie soll man also jetzt die Kleinen, nach alter pädagogischer Manier, beschützen vor „Schmutz“ bzw. „Schund“? Überhaupt keine Chance, sagt Schindler. Der Spielemarkt ist extrem unüberschaubar und schnellebig. Kaum ein Spiel kann sich länger als drei Monate auf dem Markt halten. Jede Indizierung käme frühestens, wenn die Spiele eh schon keiner mehr anrührt. Weitaus mehr Sinn sieht er in einer aufgeklärten Jugendarbeit, die vom „Recht der Jugendlichen auf Unterhaltung“, auf „unterhaltsame, gute und differenzerte Computerspiele“ ausgeht, anstatt es als bedenklich zu verdrängen.
In Bremen regt sich da allerdings kaum was. „Im Vordergrund stehen verschulte Kursangebote“ zur beruflichen Qualifikation; nebenher werkeln ein paar Usergroups, in denen sich vor allem die Freaks versammeln; für die normalen Konsumenten und schon gar die Kinder gibt es weder in den Schulen noch sonstwo die Möglichkeit, „einfach mal die Spiele von zuhause mitzubringen“, sagt Schindler. „Die werden alleingelassen.“ schak
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