piwik no script img

Politische Landschaft

■ Über Martin Warnkes Buch „Zur Kunstgeschichte der Natur“

Daß der Herrschaftssitz eines Tyrannen anders auszusehen habe als der eines vom Volk akzeptieren Fürsten, wußte schon der Renaissancearchitekt Leon battista Alberti in Worte zu fassen. Dem Tyrannen eine Festung statt eines Palastes zu bauen hielt er für angeraten; schließlich bestimmte schon damals das Sein das Bewußtsein – und umgekehrt. Um rechtzeitig einen Aufruhr in der Stadt zu erkennen, so empfahl Alberti, „sollte das Gebäude einen Wachtturm erhalten“. Wem mag die politische Intention heute bei der Besteigung einer pittoresken Burgruine erinnerlich sein, wo man bei Kaffee und Kuchen recht zwanglos den spähenden Blickwinkel des Kastellans einnimmt, der auf seine Leibeigenen herabsehen konnte.

Unsere Landschaftsauffassung, wo sie nicht nur von ökologischen Gesichtspunkten bestimmt wird, ist noch zu einem nicht geringen Teil durch den nachhallenden Geist der Romantik geprägt. Diese Auffassung ist zu demontieren und aufzuzeigen, auf welche Weise die gestaltete Landschaft und deren Abbilder bis in die jüngste Vergangenheit hin als Manifestationen politischen Willens dienstbar gemacht wurden, beabsichtigt der Kunsthistoriker Martin Warnke.

Sein Buch „Zur Kunstgeschichte der Natur“, so der Untertitel, erscheint zu einer Zeit, in der die Natur, deren gestaltete Variante die Landschaft ist, sich im Stadium des Verschwindens befindet. „Von Fremdsubstanzen durchsetzt, vom Untergang geprägt, kann sie wohl noch zu Mitleid, zu Hilfsaktionen anregen, aber nicht mehr zu einer argumentativen, Ligitimation spendenden Hilfeleistung tauglich sein.“ In sechs Kapiteln – eher Essays denn kunsthistorische Untersuchungen – werden Brücken, Grenzmarken, Denkmäler und Gartenarchitekturen auf ihren politischen Gehalt befragt, beginnend im späten Mittelalter. Unaufgeregt, geradezu in beiläufigem Ton wird der Bedeutung der in die Gegend gesetzten Zeichen nachgegangen. Daß etwa die Funktion von Grenzsteinen zu Beginn der Neuzeit den Heranwachsenden durch Rituale wie dem Zupfen am Ohr (traditionell vermuteter Sitz des Gedächtnisses) erinnerlich gemacht wurde, ist da nur ein amüsanter Nebenaspekt. Heute, wo das Monopol der Herrschenden, sich Denkmäler zu setzen, gebrochen ist (man denke an die für Verkehrsopfer aufgestellten unzähligen Kreuze an Bundesstraßen), muten die Lutherbuchen, Bismarcktürme und Kaiser-Wilhelm-Steine wie Kuriositäten aus vergangenen Zeiten an. Dabei, so Warnke, „ergibt sich eine politische Landschaft in einem wörtlichen Sinne; sie ist gar nicht mehr wahrnehmbar ohne die Botschaft ihres politischen Denkmals.“

Bei der Vielzahl der gewählten Beispiele, von der politischen Besetzung der Ebene, Berge und Burgen, über Kriegsschauplätze bis hin zur politischen Naturmetaphorik, ist Vollständigkeit weder beabsichtigt noch möglich, hinterläßt aber auch den Eindruck einer seltsamen Unentschiedenheit.

Analog zu Horst Bredekamps Postulat (taz vom 1.10.92), die Kunstwissenschaft als die mögliche Leitwissenschaft zu verstehen, da sie mit ihrem Instrumentarium das Verständnis der sichtbaren Welt, auch außerhalb der „reinen Kunst“ ermögliche, mögen diese Versuche zu verstehen sein. Nicht die künstlerische Qualität der besprochenen Landmarken ist dabei entscheidend, die Absichten, die ihnen zugrunde liegen, sind es. Was sehe ich, was hat man darin gesehen, muß die Frage lauten, und in welcher Weise hatte es politisch etwas zu bedeuten. Bezeichnenderweise scheint der Begriff der politischen Landschaft, bevor er in die Politik übernommen wurde, erstmalig in der Beschreibung eines Bildes gefallen zu sein. Jenes als „politische Landschaft“ apostrophierte Gemälde entstand kurz nach der Märzrevolution von 1848 und zeigte eine Gruppe, die eine schwarzrotgoldene Fahne auf einer Bergesspitze aufstellte. Dieser Umstand hat den Titel des Buches gerettet. Die Duden-Redaktion, die angab, Goebbels habe den Begriff der politischen Landschaft erstmals verwendet, war, so stellte sich heraus, nicht gut informiert. Markus Heller

Martin Warnke: „Politische Landschaft – zur Kunstgeschichte der Natur“. Carl Hanser Verlag, München 1992; 190 Seiten, 52 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen