"Staatsnotstand"

■ betr.: "Staatsstreich von oben? Ohne uns"!, taz vom 3.11.92

betr.: „Staatsstreich von oben? Ohne uns"!, taz vom 3.11.92

In der letzten Zeit ist wieder viel von der Unfähigkeit der Politik und jetzt sogar vom „Staatsnotstand“ die Rede. Auch ich rede vom Staatsnotstand. Denn in diesem Staat herrscht wirklich Notstand. Spätestens jetzt, wo es sich einer der höchsten Repräsentanten des Staates nicht verkneifen kann, das Wort vom „Staatsnotstand“ im Zusammenhang mit dem sogenannten Asylproblem öffentlich in den Mund zu nehmen. Aber das ist noch nicht einmal das Schlimmste; eigentlich ist es viel schlimmer, daß kein Aufschrei durch die Öffentlichkeit geht und dieser Politiker, der Bundeskanzler, zum sofortigen Rücktritt aufgefordert wird. [...[ Sven Lewandowski, Hannover

betr.: „Unser Kanzler ein Verfassungsfeind?“, taz vom 2.11.92

[...] In der BRD war und ist es eine jahrzehntelange Tradition, von Verfassungsfeindlichkeit zu reden, wenn alleine schon die (angebliche) Absicht dazu ausreicht. So war es beim Verbot der KPD, während der Gesinnungsschnüffelei, so wurde gegen die DKP und andere linke Parteien und Gruppierungen polemisiert und nicht zuletzt auch lange Zeit gegen die damals noch junge Partei der Grünen. In diesem Sinne gesehen, müssen sowohl unser ehrenwerter Herr Bundeskanzler (hat er nicht geschworen, das Grundgesetz zu achten und zu verteidigen?) als auch viele weitere PolitikerInnen eigentlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Was für eine Utopie: Die CDU oder noch besser die CSU wird als verfassungsfeindliche Partei verboten...

Ein Unding ist es allemal, daß das Grundgesetz, sonst als die beste aller Verfassungen gelobt, nun auf einmal nicht mehr viel taugen soll. Wen wundert's, wenn die Politikverdrossenheit weiter steigt. [...] Jörg Wilhelm, Wiesbaden

[...] Wahltaktisches Kalkül täuscht, wieder und gewohnt, Entschlossenheit zum Handeln vor. Das Problem jedoch, der sogenannte „Asylmißbrauch“, an das Hand angelegt wird, existiert nicht wirklich, ist bloß gezielte Projektion und Irreführung durch die herrschende Politik. [...]

„Gegen Ausländerfeindlichkeit – deshalb: Ausländer raus!“ verkündete Mitte der achtziger Jahre ein Plakat der verbotenen „Nationalen Sammlung“. Niemand konnte ahnen, daß die Idee der Faschisten um Michael Kühnen bereits – damals noch grotesker Minderheitenwahn – die Grundprinzipien für die Regierungspolitik der neunziger Jahre formuliert hat.

Selten war die Instrumentalisierung bestimmter sozialer Begebenheiten für Parteipolitik in ihren Auswirkungen so pervers und menschenverachtend wie im „Fall“ der rassistischen Anschläge. Unverfroren werden immer wieder die Opfer zu Schuldigen deklariert und müssen für das, was ihnen widerfährt,noch büßen. Besorgnis und Bestürzung der PolitikerInnen gegenüber der offenen Gewalt sind so obligatorisch wie verlogen. Die rassistischen Vorurteile und Gedankenbilder der Straße befinden sich in einem mörderischen Pakt mit dem Rassismus der Institutionen. Beide bedingen, erweitern und ergänzen sich gegenseitig und schaffen dieses gesellschaftlich-politische Klima – und Brandbomben regnen auf AsylbewerberInnenheime, fast natürlich.

Die Amts- und Anzugträger werden sich nicht herablassen, ihre offensichtliche Struktur noch greifbar und handgreiflich zu machen; sie haben es nicht nötig, denn was dem Rostocker Fascho sein Molli, ist dem Minister aus Bonn der Schreibtisch... Jens Kastner, Senden