: Patenschaft für ein Flüchtlingsheim
Gemeinsam die Ohnmacht überwinden: Wir wollen nicht länger isoliert vor dem Fernseher sitzen – von Entsetzen gepackt von dem, was uns allabendlich an neuen Ausschreitungen berichtet wird. Ein Bericht des Aktionskreises ■ Von Petra Buchholz
Zusammengeführt hat uns eine Zeitungsanzeige: Treffen von Leuten, die etwas unternehmen wollen, zum Beispiel Patenschaften für Flüchtlingsheime organisieren. Ungefähr zwanzig Leute, hauptsächlich Frauen, sind gekommen. Mühsamer Anfang: Uns verbindet lediglich die Empörung und Sorge wegen der ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock und anderswo und der gute Wille.
Eine Liste von Heimen taucht auf, leider nur mit Straßennamen vor der großen Umbenennungsaktion im Osten und – wenn überhaupt – völlig veralteten Telefonnummern. In mehreren Gruppen machen wir uns ein Bild der Situation vor Ort in den einzelnen Heimen. Leicht zu finden sind sie – sicher auch glücklicherweise – nicht. Wir irren durch weitläufige Industriegebiete und unübersichtliche Wohnblocks. An der „Rezeption“ treffen wir häufig nur den Wachschutz an, der uns als bestgeschützter Mann im Heim erscheint. Während das Heim selbst weit offen steht, reicht er uns ängstlich die Telefonnummer des Heimleiters durch einen hastig wieder geschlossenen Türspalt. Da ein Heim oft aus mehreren Blöcken besteht, erscheinen diese trotz Wachschutz völlig ungeschützt: wie soll ein einzelner Mann den Überblick behalten. In mehreren Heimen gelingt es uns, einfach drin herumzustromern und mit den Bewohnern zu sprechen.
Telefon gibt es meist nur im Zimmer des Heimleiters, das am Wochenende und nachts vom Wachschutz gehütet wird. Öffentliche Telefonzellen in der Umgebung sind äußerst rar. Die Heime sind oft so isoliert und abgelegen, daß der Gang zur Telefonzelle zum Tagesausflug werden kann – und das für Menschen, die ängstlich und fremd sind. Ein erstes Ergebnis: Patenschaft für Flüchtlingsheime könnte bedeuten, sich dafür einzusetzen, daß Telefonzellen, und zwar nicht nur eine für zweihundert Leute, in der Nähe eingerichtet werden.
Durch unsere erste Erkundungstour haben wir einen ersten Eindruck von den Heimen gewonnen. In einigen leben nur Männer aus Polen oder anderen ehemaligen Ostblockländern, es sind eher Arbeitnehmerwohnheime; in anderen wiederum stellen Frauen und vor allem Kinder die Mehrheit: das sind vor allem Bosnierinnen, die ohne Mann, Bruder und Sohn nach Deutschland gekommen sind. In manchen Heimen warten Roma-Familien aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien zusammen mit Serben, die als Wehrpflichtige aus dem Bürgerkriegsgebiet geflohen sind, auf ihre Anerkennung als Asylberechtigte, darunterMenschen aus Afrika und Asien.
Die Heimleiter zeigen sich sehr offen und neugierig auf unser Angebot, eine Patenschaft zu übernehmen. Es ist kein Problem, einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Unsere Vorstellungen einer Patenschaft sind allerdings noch verschwommen: zunächst dachten wir an eine möglichst öffentlichkeitswirksame Übernahme der Patenschaft, die andere Gruppen dazu anregen sollte, mit ähnlichen Aktionen die Flüchtlingsheime aus ihrer Isolation herauszuholen; als Schutz vor Überfällen war daran gedacht, Sitzungen von Arbeitskreisen oder Seminaren in den Heimen abzuhalten, wenn nötig auch im Heim zu übernachten. Außerdem konnten wir uns vorstellen, medizinische und rechtliche Beratung anzubieten, Deutschkurse zu veranstalten, ein Kinderfest zu machen, auch mal jemanden auf dem Gang zum Sozialamt zu begleiten...
Heim 1
Die Sozialarbeiterin, die sich mit uns zusammensetzt, scheint uns als eine Art Kontrollinstanz zu begreifen; sie versichert, daß bei ihnen alles in Ordnung sei, manchmal werde nicht so gut geputzt, aber Menschen aus anderen Ländern hätten eben auch andere Sauberkeitsvorstellungen. Sie führt uns über das ganze Gelände, zeigt uns den Spielplatz und das Kinderbetreuungszimmer (16 Quadratmeter, wie alle Zimmer) und schleust uns durch alle Gebäude; wir können sie nicht davon abhalten, uns auch einige Zimmer zu zeigen; sie will uns unbedingt beweisen, daß alles „gut läuft“. Wir bekommen in der Tat einen Eindruck davon, unter welchen Bedingungen die Heimbewohner leben, wenn die Sozialarbeiterin nach kurzem Klopfen in die Zimmer stürmt, Bewohner vorzeigt wie Gefängnisinsassen und immer ein Wörtchen über den jeweiligen aufgeräumten oder unaufgeräumten Zustand des Zimmers parat hat.
Heim 2
Die Heimleiterin nimmt sich viel Zeit für uns. Sie erzählt offen über Situation und Probleme im Heim. Mut macht uns ihr Bericht nicht: „Ja, es gab schon mehrere Gruppen, die auf sie zugekommen sind, die haben auch schon mal versucht, Deutschkurse zu veranstalten, aber wissen Sie, die Männer wollen ja gar nicht, daß die Frauen zu selbständig werden. Die Frauen bleiben eigentlich den ganzen Tag im Heim. Aber ein Kinderfest, daß kommt immer gut. Oder vielleicht mal mit den Kindern schwimmen gehen? Wissen Sie, das muß schon alles sehr vorsichtig angegangen werden!“
Aus ihr spricht die Praktikerin, die schon diverse Ansätze und Mißerfolge wohlmeinender Gruppen erlebt hat.
Heim 3
Dieses Flüchtlingsheim liegt im Vergleich zu den bisher besuchten am trostlosesten: mitten in einem Industriegebiet, keine Einkaufsmöglichkeiten und keine Telefonzelle weit und breit.
Der Heimleiter empfängt uns zusammen mit einer Art Sprechergruppe der Bewohner. Hier hat bisher noch keine Gruppe angefragt, ob Hilfe gebraucht wird. Unser Angebot einer Patenschaft, unsere mittlerweile konkretisierten Ideen, wie so eine Patenschaft aussehen könnte, werden mit Freude aufgenommen. Uns ist inzwischen klargeworden, daß einige unserer ersten Ideen völlig daneben waren: in den meisten Heimen sind auch die Aufenthaltsräume mit Neuankömmlingen belegt, Platz für Gruppensitzungen gibt es nicht. Außerdem legen natürlich weder Heimleiter oder Sozialarbeiter noch die Bewohner Wert auf eine noch so gut gemeinte Öffentlichkeitsarbeit, durch die sie sich eher gefährdet als geschützt fühlen. Wir entscheiden uns für dieses Heim und treffen die erste Verabredung.
An einem Sonntagnachmittag rücken wir an mit Kaffee und Kuchen und verbringen einen aufregenden, trotz Sprachschwierigkeiten sehr informativen Nachmittag mit dreißig bis vierzig Frauen, Männern und Kindern aus Bosnien und anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawien, aus Rumänien und Albanien. Schon in den darauffolgenden Tagen finden die ersten Verabredungen für eine Begleitung zum Sozialamt und medizinische Beratung statt.
In den nächsten Wochen werden ein Deutschkurs und ein Gymnastikkurs für Frauen und Kinder anfangen. Außerdem ist geplant mit den Bewohnern des Heimes Spielgeräte für die Kinder zu bauen und aufzustellen.
Unser Eindruck aus den ersten Tagen der Patenschaft: Es ist richtig und notwendig, in die Heime zu gehen, sich ein Bild von der Situation zu machen und dann entsprechende Ideen anzubieten. Es ist vor allem notwendig, die Isolation, in der sich die Flüchtlinge befinden, aufzubrechen. Natürlich können wir ihre wichtigsten Anliegen – rechtliche Anerkennung und Arbeit – nicht erfüllen.
Wir brauchen noch Leute, die mitarbeiten. Neben der ideell-praktischen sind wir auch auf finanzielle Hilfe angewiesen.
Wir treffen uns dienstags um 19 Uhr im Akarsu, Oranienstraße 25, 1 Berlin 36. Telefon, dienstags und freitags zwischen 10 und 12 Uhr: 6142085 oder 6147031.
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