: Wer schwanger ist, wird abgeschoben
Viele Vietnamesinnen, von der DDR nach Europa gelockt, wollen nicht zurück/ Wenn sie als Vertragsarbeiterinnen schwanger wurden, droht ihnen zu Hause soziale Ächtung ■ Von Minou Amir-Sehhi
„Sie haben die Verpflichtung gegenüber Ihrem sozialistischen Vaterland nicht erfüllt.“ Das wurde vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen gesagt, wenn sie wagten, schwanger aus der DDR in die Heimat zurückzukommen. Denn in dem Regierungsabkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften zwischen der DDR und Vietnam wurden Schwangerschaften quasi verboten. Den Vietnamesinnen blieben im Fall der Fälle nur zwei Möglichkeiten: Sie mußten abtreiben oder sich aus der DDR abschieben lassen.
Vu Van Son, Vorsitzende des Berlin-Brandenburgischen Vereins für Vietnamesen, weiß aus eigener Erfahrung: „Einige Frauen trieben ab, aber viele wollten ihr Kind austragen und gingen zurück nach Vietnam, wo sie dann Strafe zahlen mußten, weil sie die Vertragsvereinbarungen gebrochen hatten.“ Danach konnten sie dann wieder in die DDR – aber ihr Kind mußte zu Hause bleiben.
Seit Ende der siebziger Jahre holte sich die DDR sogenannte Vertragsarbeitnehmer aus den „sozialistischen Bruderländern“ Vietnam, Mocambique, Angola und Kuba als billige Arbeitskräfte ins Land. 1981 kamen die ersten VertragsarbeiterInnen aus Vietnam in die DDR, ein Jahr zuvor hatten die beiden Länder ein Regierungsabkommen geschlossen.
Die VietnamesInnen stellten das Gros der VertragsarbeiterInnen. Von den knapp 100.000 vor der Wende waren 60.000 VietnamesInnen, fast die Hälfte davon Frauen. Sie wurden meist für unliebsame Fließbandarbeiten eingesetzt. Als besonders arbeitswillig, emsig und bienenfleißig galten die VertragsarbeiterInnen aus Vietnam.
Bis auf wenige Ausnahmen gab es für Vietnamesinnen erst nach der Wende die Möglichkeit, ihr Kind in der DDR auszutragen. Thuy Van ist eine der Frauen, die sie nutzte. Ihre Tochter ist jetzt gerade ein Jahr. Sie selbst ist momentan Hausfrau – wenn auch gezwungenermaßen. „Im alltäglichen Leben habe ich sehr viele Probleme mit dem Kind alleine zu Hause, weil ich mit dem Kind nicht Geschäfte machen kann.“
Geschäfte machen – da denkt man bei VietnamesInnen immer gleich an den illegalen Zigarettenhandel, bei dem die vietnamesischen VerkäuferInnen zwar keineswegs die Drahtzieher und besten Verdiener, dafür aber sichtbar für alle sind. Doch mittlerweile sind viele VietnamesInnen auf Märkten zwischen Gemüse-, Obst- und Blumenständen zu sehen.
Kim Ngan arbeitet auf dem Potsdamer Markt. Hier beginnt ihr Tag früh, zwischen sechs und sieben Uhr kommt sie, um ihren Stand aufzubauen. Sie verkauft Socken und Blusen, Wollhosen und Pullover, das Stück zu 35 Mark.
Viele DDR-Bürger wußten fast gar nichts über die VertragsarbeiterInnen. So erging es auch der damaligen Bischöfin Almuth Berger, heute Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg: „Ich habe auch erst sehr spät Kenntnis von den Problemen dieser Menschen bekommen. Das war ja ein Tabuthema, man kam auch kaum in die Heime rein. Ich habe dann im kirchlichen Bereich versucht, Kontakte zu schaffen. Dadurch haben wir überhaupt erst mal gesehen, welche Bedingungen sie in den Verträgen hatten, die wir als sehr, sehr schwierig und sogar menschenunwürdig betrachtet haben.“
Die Situation der ehemaligen VertragsarbeiterInnen sieht sie im Moment als dringendes Problem an. Bis Ende diesen Jahres herrscht ein sogenannter „befristeter Abschiebestopp“. Doch Innenminister Seiters macht momentan keine Anstalten, diese zu verlängern. Mit einer Bundesratsinitiative soll den noch 20.000 in den neuen Bundesländern lebenden ehemaligen VertragsarbeiterInnen — davon 12.000 aus Vietnam — ein Bleiberecht zugesichert werden. Die brandenburgische Initiative wird nur von Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt unterstützt. So mancher scheint zu hoffen, das Problem möge sich von selbst lösen. Die meisten ehemaligen VertragsarbeiterInnen gingen – mit Krediten und Abfindungen gelockt – gleich nach der Wende.
Zu DDR-Zeiten lebten die VertragsarbeiterInnen in einem Ghetto, Beziehungen zu Menschen anderer Nationen waren strikt unerwünscht. Doch auch heute sind sie weiter isoliert. Mangels Kontakt zu Deutschen können die meisten VietnamesInnen noch immerkein Deutsch. Kim Ngan und die anderen vietnamesischen Marktfrauen beherrschen das Nötigste, dazu zählen sämtliche Zahlen. Auch Thuy Van braucht für ausführlichere Gespräche eine Übersetzerin. Aber sie denkt nicht daran, Deutsch zu lernen. In ihrer Freizeit guckt sie lieber fern. Auch Videofilme aus der Heimat und Hongkong-Filme stehen hoch im Kurs.
Doch zurück wollen Kim Ngan und Thuy Van vorerst nicht. Keine der beiden hätte Chancen, bei einer Rückkehr nach Vietnam einen Job zu bekommen. Denn: „Wer aus einem kapitalistischen Land kommt, gilt als reich und braucht deshalb keine Arbeit“, sagt Vu Van Son.
Reich ist Thuy Van nicht gerade mit ihren 800 Mark Arbeitslosenhilfe und 130 Mark Kindergeld im Monat. 340 Mark Miete muß sie zahlen, für ein einzelnes Zimmer mit bröckelnden Wänden, abblätternden Tapeten und Gemeinschaftsküche, Wasser, Toiletten und Duschen im Treppenhaus ist das tatsächlich kein Pappenstiel. Zusammen mit etwa 80 Landsleuten zog Thuy Van gleich nach der Wende in ein ehemaliges Studentenwohnheim in der Potsdamer Bertinistraße ein, wo sie noch heute mit ihrem Freund und ihrer Tochter lebt. Doch in Vietnam wäre an eine solche Gemeinschaft überhaupt nicht zu denken.
Denn Thuy Van verliebte sich in Deutschland in einen Landsmann; ihr Ehemann ist bis heute in Vietnam. Thuy Vans Freund und Vater ihrer Tochter hat noch Ehefrau und Kinder in der Heimat. Trotzdem würde Thuy Van eigentlich gerne wieder mit ihrer Großfamilie zusammenwohnen, doch bei einer Rückkehr erwartet unverheiratete Mütter nichts Gutes. „Eine alleinstehende Frau ohne Kindesvater: Das ist unerwünscht“, weiß Nguyen Thi Hoai Thu vom Berliner Club Asiaticus zu bestätigen. Und Vu Van Son vom Verein für Vietnamesen weiß von Betroffenen: „Die Familien werden diese Frauen ausstoßen, selbst ihre Eltern wollen sie nicht mehr haben. Und die Großeltern möchten auch ihr Enkelkind nicht in der Familie haben.“
Zur Stellung der Frau in ihrer Heimat schüttelt Thuy Van nur den Kopf: „Eigentlich haben die Frauen in Vietnam das gleiche Recht wie Männer. Aber das ist alles nur Theorie. Außer der Arbeit im Betrieb oder im Büro müssen die Frauen zu Hause alles machen.“ Dafür sitzen die Männer in allen wichtigen Positionen.
Sogar im Büro der brandenburgischen Ausländerbeauftragten Berger arbeiten ausschließlich vietnamesische Männer.
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