: „Warum immer nur Frauen?“
Die Teilnehmer beim Wettbewerb um den Titel des „Mister Nordberlin“ sind überzeugt: „Wir Männer haben auch was zu zeigen“ ■ Von Miriam Hoffmeyer
Berlin. Verlegen treten die Jungs von einem Fuß auf den anderen und lächeln vage. Die Avantgarde hat es nicht leicht. Und sicher hat die blonde Moderatorin Viviane Günter recht, wenn sie immer wieder den Mut der vierzehn angetretenen Kandidaten lobt. Denn an diesem Sonntag abend, 754 Jahre nach der Stadtgründung, wird erstmals der schönste Mann des Berliner Nordens gewählt.
Dem Publikum ist die Bedeutung des Ereignisses nur halb bewußt. Die meisten, die sich in der plüschig eingerichteten Disco „Joe am Wedding“ eingefunden haben, sind Stammkunden, die keine Karaoke- oder Petticoat-Night auslassen. „Wir sind hier, weil wir immer hier sind“, erklärt die angehende Versicherungskauffrau Kathrin bündig. „Quatsch, wir wollen die Kerls sehen“, korrigiert Freundin Melanie und zupft ihre hellblonde Dauerwelle in Form. Kurz darauf dröhnt Sinatras „New York“ aus den Boxen und übertönt das haltlose Gekicher im Publikum: Einmarsch der Kandidaten. Die meisten haben für ihren ersten Durchgang Jeans und buntes Jackett gewählt. Ganz eindeutig überwiegt der Typ „Weddinger Beau“ mit Schnäuzer, Ohrring, Bundesligafrisur und schwerer Goldkette. Akzente setzen ein einsamer Brillenträger sowie der jüngste Bewerber – der 19jährige Hotelpage Cem, der im Konfirmationsanzug auftritt. Auch der 30jährige Mario fällt auf mit seinen pluderigen schwarzen Lederhosen, die ihn, der der Moderatorin ohnehin gerade bis zum Hals reicht, noch kleiner erscheinen lassen.
Erfrischend unprofessionell tänzeln die vierzehn Kandidaten über den Laufsteg, manche unbeholfen und bis über die Ohren errötend, die meisten mit kokettem Hüftschwung. Auch die Angehörigen der Jury – Vertreter der Bekleidungsfirmen, die die Wahl gesponsert haben, Miss Berlin 1992 und drei Bezirkmissen – können ihre Heiterkeit nicht verbergen. Noch besser wird die Stimmung, als die Kandidaten einzeln über Namen und Stand Auskunft geben müssen. Anders als bei Miss-Wahlen werden nicht nur eingelernte Parolen aufgesagt, sondern auch kleine Witzchen gerissen: „Ich grüße unsere Zuschauer in Österreich und in der Schweiz.“ Als der mit 37 Jahren älteste Teilnehmer, U-Bahn-Fahrer Olav, sein Hobby verkündet, geht ein Raunen durch den Raum: Er schreibt Gedichte. Olav spricht aus, was die Kandidaten zur Mister-Wahl treibt, erwachendes männliches Selbstbewußtsein nämlich: „Warum immer nur Frauen? Wir Männer haben auch was zu zeigen.“
„Schwimmen, Billard, Disco, na super halt!“
Lange Spannungspause vor dem zweiten Durchgang, in dem die Schönen erst in weißen T-Shirts, grauen Boxershorts und Turnschuhen erscheinen und dann auch noch die T-Shirts fallen lassen. Alle Varianten männlicher Oberkörper bieten sich dem Publikum dar: bepelzt oder haarlos, mit oder ohne Pickel auf dem Rücken, von der blassen Hühnerbrust bis zum muskulösen, im Sonnenstudio rot verbrannten Bodybuilder-Oberkörper. Mehr oder minder gewandt wackeln die Jungs mit den prallen Hinterbacken in Richtung Jury. Die Zuschauer klatschen enthusiastisch und suchen nach ihren Stimmzetteln. Bis alle ausgezählt sind, vergeht eine zähe, dem Getränkekonsum gewidmete halbe Stunde. Kurz vor Mitternacht dann die Entscheidung: Schönster Nordberliner ist der 25jährige Olaf, ein kräftiges Mannsbild mit Mondgesicht, dunkelbraunem Schnäuzer und dem typischen Haarschnitt. Von Beruf ist er Klempner: „Ich sorge dafür, daß in Bad und WC alles o.k. ist.“ Seine Hobbies? „Schwimmen, Billard, Disco, na super halt.“ Glücksstrahlend nimmt der Sieger den ersten Preis entgegen – ein Krawatten-Set sowie Küßchen von den anwesenden Missen. Im Januar wird Olaf zusammen mit den fünf anderen, die an diesem Abend am meisten Stimmen einsammeln konnten, zur Wahl des ersten Mister Berlin antreten. Zuvor werden noch Mister Südberlin und Mister Mitte gewählt – allein an diesem Abend haben sich dafür 25 neue Kandidaten angemeldet. Mit glasigen Augen und sichtlich erschöpft, drängeln die Zuschauer hinaus an die frische Luft. Aber die Kommentare sind wohlwollend: „Endlich mal wat anderet.“
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