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Honecker-Prozeß ohne Erich Mielke

Gutachter und Richter beschließen die Abtrennung des Verfahrens gegen den ehemaligen Stasi-Chef Erich Mielke/ Erich Honecker erleidet Schwächeanfall im Gericht  ■ Aus Berlin Julia Albrecht

Die Reihen lichten sich. Nach Willi Stoph wird nun auch Erich Mielke nicht mehr auf der Anklagebank Platz nehmen. Der Doppelbelastung zweier Verfahren sei der 84jährige nicht gewachsen, meinen übereinstimmend zwei Gutachter und die Richter der 27.Strafkammer des Berliner Landgerichts und trennen das Verfahren ab. So bestätigt der zweite Prozeßtag die Ahnung, daß der Gesundheitszustand der Männer des ehemaligen Zentralen Veteidigungsrats der DDR das Verfahren gegen Honecker und andere prägen wird. Obschon länger als der erste Verhandlungstag, wurde die Verhandlung wegen einer „akuten Herz-Kreislauf-Schwäche“ des ehemaligen Staats- und Parteichefs nach zwei Stunden auf Donnerstag vertagt. „Jetzt kann ich nicht mehr“, sagte Honecker bereits nach einer Stunde zu dem Vorsitzenden Hansgeorg Bräutigam, nachdem sein Anwalt Wolfgang Ziegler einen umfangreichen Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter gestellt hatte.

Zu Beginn der Verhandlung war sein schlechter gesundheitlicher Zustand Honecker noch nicht anzusehen. Als letzter der Angeklagten betrat er den Saal und begrüßte vor allem Erich Mielke freundlich und ausgiebig. Wie schon am ersten Tag erwiderte er das Winken aus den Zuschauerreihen mit der geballten Faust. Die anwesenden Ehefrauen von Keßler und Albrecht, die vorne im Zuhörersaal Platz genommen hatten, begrüßte er per Handschlag und mit einem „Hallo“.

Sichtlich bemüht ist Richter Bräutigam, seine schon am ersten Tag in Frage gestellte Souveränität in diesem Verfahren doch noch einzubringen. Freundlich richtet er das Wort an Honecker, fragt ihn nach seinem Befinden und sagt wie eine gute Krankenschwester: „Dann wollen wir mal für zehn Minuten unterbrechen und den Kreislauf von Herrn Honecker untersuchen lassen.“ Nachgiebig stimmt er der Unterbrechung der gestrigen Verhandlung zu, weil der Angeklagte Honecker sich unwohl fühlt. Uneingeschränkt läßt er die Angeklagten miteinander sprechen. Dennoch kann er seine Nervosität im Umgang mit allen Beteiligten nicht verbergen. Vor allem lastet auf ihm der Vorwurf, daß er als „Honeckers Richter“ in die Geschichte eingehen will. Nicht allein auf diesen Vorwurf stützt die Verteidigung ihren Befangenheitsantrag, aber die Motivation für Bräutigams Verhalten in den letzten Monaten wird doch immer wieder darauf zurückgeführt.

Den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts soll er manipuliert haben, um diesen historischen Prozeß zu ergattern, meinen die Verteidiger. Das H wie Honecker habe Bräutigam der 27. Strafkammer zugeschustert. Eigentlich hätte zwar das M wie Mielke genügt, da sich die Zuständigkeit nach dem Anfangsbuchstaben des ältesten Angeklagten richte, aber im Falle dessen Krankheit wollte man eben sichergehen, über das H an die Sache zu gelangen.

Und dann ist da noch die Sache mit den 56 abgetrennten Einzelfällen. Die Verteidigung moniert, daß diese Abtrennung einer Vorverurteilung gleichkomme, den Willen zur Bestrafung wegen der Todesfälle augenscheinlich mache. Begründung: Ein Freispruch in den jetzt angeklagten zwölf Todesfällen würde bedeuten, daß die anderen 56 Verfahren in Angriff genommen werden müßten, was nach dem Gebot der Ökonomie und der Beschleunigung des Verfahrens nach der Strafprozeßordnung zuwiderlaufe.

Richter Bräutigam hört sich die Vorwürfe gelassen an. Den Befangenheitsantrag, über den eine andere Kammer zu befinden hat, stellt er zunächst zurück. Nur will er wissen, wie das Verfahren weitergehen wird, ob die Verteidigung weitere Anträge zu stellen gedenkt. Anwalt Becker verbirgt seine Ablehnung des Richters nicht: Man hätte im Sinne der Ökonomie alle Vorwürfe auf einmal gebracht. Andere Vorwürfe gegen Bräutigam gingen „eher auf das Konto der Jugendsünden und wurden nicht aufgeführt“. Das Lachen im Zuhörersaal zeigt, daß alle die Anspielung verstanden haben. Bräutigam hatte sich unter dem Pseudonym Georg Riedel im Springerblatt Berliner Morgenpost als guter Rechter hervorgetan und unter anderem Anti-AKW-Demonstranten als Kommunisten verunglimpft.

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