: Kaufrausch jetzt autofrei?
City-Geschäfte wollen eine Milliarde extra im ■ Weihnachtsgeschäft
Ein Milliarde Deutsche Mark wartet auf Abholung. Verkehrssenator Eugen Wagner ist entzückt: „Das ist ja richtig Geld.“ Das Geld schlummert in den Taschen der Hamburger VerbraucherInnen. Der Einzelhandel erwartet sehnlichst, daß sie die Summe in der Weihnachtszeit abdrücken.
Nach dem Abflauen des Ossi- Konsum-Booms herrscht Flaute in der Kasse. Hamburgs Einzelhandelsumsätze schmolzen in diesem Jahr real um 2,5 Prozent. Ulf Kalkmann, Cheflobbyist des Hamburger Einzelhandels, zeigt sich besorgt: Der Kaufrauschindex (Konsumklima) liege derzeit „zehn Indexpunkte unter dem langfristigen Mittelwert“.
Schlimmer noch: Das Kaufverhalten entspricht dem miesen Index. Vom Wegfall des Solidaritätszuschlags in der Jahresmitte, der einen zusätzlichen dreistelligen Millionenbetrag in die Taschen der Hamburger KonsumentInnen spülte, hatte sich der Handel einen Aufschwung versprochen. Kalkmann ernüchtert: „Der ist ausgeblieben.“ Nun soll es mal wieder das Weihnachtsgeschäft richten. Eine Milliarde extra auf das übliche Geschäft von knapp zwei Milliarden Mark pro Monat soll es sein. Eugen Wagner souffliert: „Das große Geschäft, was jetzt ansteht.“
Keine Sorge, Eugen Wagner ist nicht plötzlich auch noch Wirtschaftssenator geworden. Als Verkehrssenator ist er lediglich auch Patriarch (Aufsichtsratsboß) des HVV. Und der vernetzt sich jedes Jahr zu Weihnachten mit dem Einzehandel. Kaufrausch ohne Auto ist das Motto. Wagner weiß, worum es geht: „Nicht einfach mit dem Pkw losgondeln. Sie sollen die Kisten weiter draußen stehenlassen, zumindest in der Weihnachtszeit.“ Das lassen sich HVV und Einzelhandel etwas kosten: Die Interessengemeinschaft City finanziert die kostenlose Pendelbuslinie 100 zwischen zwei Großparkplätzen (Fernsehturm und Großmarkt), der HVV packt ein kostenloses City-Ticket obendrauf. Dazu gibt es die Paketbusse (zum Geschenke parken) und einen erstaunlichen Lieferservice. Für fünf Mark werden Einkäufe bis zehn Kilo noch am gleichen Tag vom Paketbus nach Hause geliefert. Wagner staunt: „Das müssen Sie mal der Post erzählen!“
Bleibt das Problem der Angebotsqualität der öffentlichen Verkehrsmittel selbst. Oft sind Busse und Bahnen so schmutzig und verstunken wie ein versifftes Auto. Auch hier weiß Wagner Abhilfe: „Den Ferkeln, die überall herumlaufen, muß man das mal unter die Nase reiben. Neulich hab' ich mir einen vorgenommen: Wenn du das nochmal machst, dann ist aber gleich was los.“ Wagner zufrieden: „An der nächsten Station stieg der kleinlaut aus.“ Hat hier irgend jemand was von Feigling gesagt? Florian Marten
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