piwik no script img

Je mehr Deserteure, desto weniger Krieg

■ Ein serbischer Deserteur in Deutschland / Ob der Balkankrieg beendet werden kann

Stevan kommt aus Belgrad. Er hat sich geweigert, mit der serbischen Armee in den Krieg zu ziehen, und arbeitet stattdessen in einer Belgrader Anti-Kriegs- Gruppe. Die DFG/VK hat ihn und andere aus seiner Gruppe zu mehreren Vorträgen eingeladen.

taz: Du bist Mitglied in einer Friedensgruppe. Kannst Du beschrieben, wie diese Gruppe arbeitet?

Stevan:Die pazifistische Idee gab es im ehemaligen Jugoslawien nicht. Deshalb hat sich das erst vor kurzem entwickelt, als die feministische Bewegung oder ökologisch bewußte Menschen sich für den Frieden eingesetzt haben. Unsere Gruppe ist aus mehreren solcher Gruppen entstanden. Zuerst haben wir Deserteure beraten, jetzt haben wir ein Projekt für Flüchtlingsfrauen und Flüchtlingskinder angefangen. Unsere größte Aufgabe jetzt ist, Informationen über Kriegsverbrecher zu sammeln.

Von hier aus steht man ziemlich ratlos vor dem Krieg am Balkan. Es gibt kaum Vorstellungen, wie dieser Krieg beendet werden könnte. Wie stark ist die Friedensbewegung, oder andersherum: wie stark ist denn heute noch die Kriegsbegeisterung?

Im jetzigen (Rest-)Jugoslawien gibt es 200.000 Deserteure. Das sind nicht nur klassische Deserteure, das sind auch Leute wie ich, die eine Aufforderung bekommen haben, aber nicht hingegangen sind. Und es sind Leute, die aus der Angst, daß sie eine Aufforderung bekommen könnten, weggegangen sind.

Fünfzig Prozent im jetzigen Jugoslawien sind gegen Milosevic und gegen den Krieg. Doch die andere Hälfte steht noch stark unter der Milosevic-Propaganda. Sie sind überzeugt, daß es sich um den Genozid am serbischen Volk handelt. Sie sind aber auch gegen den Krieg. Aus Restjugoslawien kommen jetzt nur noch paramilitärische Einheiten, die sehr schwer zu kontrollieren sind.

Glaubst Du, daß es irgendeine Möglichkeit gibt, diesen Krieg von innen heraus zu beenden. Oder braucht es dazu eine Kraft von außen?

Es gibt keine Lösung, solange sich nicht alle drei Volksgruppen zusammensetzen. Unsere Bewegung ist gegen eine Intervention von außen. Als eine Friedensbewegung können wir so einen Akt nicht unterstützen. Dann würde auf dem Balkan ein zweites Vietnam entstehen.

Ich habe den Eindruck, sowohl in der Friedensbewegung im ehemaligen Jugoslawien als auch außerhelb gibt es kaum jemanden, der daran glaubt, daß dieser Konflikt von innen her lösbar wäre. Wie könnte ein Ausweg aussehen und was könnten wir in Deutschland tun?

Es ist sehr schwer, eine friedliche Lösung zu beschreiben. Es wäre gut, wenn die UNO-Truppen an allen Grenzgebieten stationiert würden, auch an der serbischen Grenze. Damit könnte man die Waffenlieferungen stoppen. Es wäre positiv, Panic zu unterstützen, der außergewöhnlich demokratisch und friedensbewußt auftritt. Damit könntet ihr uns unterstützen.

Es gibt noch viele Deserteure in Belgrad, die nicht geflüchtet sind. Belgrad ist im Moment sehr oppositionell, gegen das Regime von Milosevic. Die aktuellste Nachricht ist, daß es eine neue Mobilisierung gibt. Wir würden gerne auf Deutschland einwirken, daß der Visumzwang abgeschafft wird, damit die Menschen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, sich in Deutschland aufhalten können. Je mehr Deserteure in Deutschland, desto weniger Krieg in Jugoslawien. Fragen: Jochen Grabler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen