Fehlgeleitete Kreativität-betr.: "Scheiße im Kreuzberger Exil", taz vom 31.10.92

betr.: „Scheiße im Kreuzberger ,Exil‘“, taz vom 31.10.92

„Yuppielokal“, „schicke Szene“ und „US-Schlitten“ scheinen das Beschimpfen von Personal(!) und Gästen, Vandalismus und schnödem Diebstahl zu rechtfertigen. Kein einziges Wort darüber, daß diese „politisch motivierte Tat“ nichts anderes als ein krimineller Akt von wildgewordenen Provinzlern war.

Wurden Lokale gekauft, wie beim „Exil“ der Fall, müssen die Besitzer/innen schwer mitarbeiten; sind die Räume gemietet, stehen viele Gewerbetreibende Kreuzbergs seit 1989 zudem vor der Tatsache, daß bis zu 300 Prozent mehr Miete verlangt wird.

Es ist zu bezweifeln, ob einer dieser Kübelpolitiker sich jemals die Mühe gemacht hat, die Probleme Gewerbetreibender in Kreuzberg zu untersuchen. Offensichtlich ist es ihnen lieber, wenn Drogeriemärkte, Spielhallen und Videoshops statt alteingesessener Lokale die Kreuzberger Straßen zieren.

Zur vielbeschworenen Vielfalt gehören Lokale und Geschäfte, in die auch Leute mit Anzug und Krawatte oder „kleinem Schwarzen“ gehen. Bei den heute zur Norm gehörenden nächtlichen Überfällen spricht man immer von Überfällen auf „unschuldige Menschen“. Als ob es in einem Rechtsstaat Überfälle auf „schuldige“ Menschen geben dürfte. Eine verräterische Sprachregelung.

Die mit Haßkappen Getarnten sollten sich mal im New Yorker Soho, East Village oder Greenwich Village umsehen. Bei den dortigen Extremen, die ausgehalten werden, würde ihnen aufgehen, daß sie etwas zerstören wollen, was in New York noch als Manifestation von Urbanität und Toleranz in Europa gilt: Kreuzberg. Wie lange noch? Fehlgeleitete Kreativität – wie komme ich an möglichst viel Scheiße in Kübeln? – finde ich zum Kotzen. [...] Janne Rubach, Berlin