: Exempel vom schwarzen Loch
Kunst in Berlin jetzt: Angela Grauerholz, Octavio Blasi, Schwagmeyer und Brunetti, Die Praxis ■ von Harald Fricke
Unscharfe Bilder: der flüchtige Blick in ein von dünnen Ästen und allerlei verschlungener Botanik flimmerndes Gewächshaus („Druid 1“); Menschen, die, zur Gruppe verflochten, sich im Augenblick der Aufnahme an Hosenbeinen und Ärmelrändern überlappen („Crowd“); die verschwommene Fassade eines im trüben Morgenlicht fotografierten Plattenbaus aus Waschbeton („Hospital“) – „Die documenta- Arbeiten“ der in Kanada lebenden Hamburger Fotokünstlerin Angela Grauerholz geben den von der Technik verdrängten Abstand zwischen Apparatur und Gegenstand wider. Neben dem Verhältnis zum Raum setzt Grauerholz ihre Bilder auch dem zur Zeit aus, die bei kurzen Belichtungszeiten unsichtbar zu werden droht. Die Dauer des Lichteinfalls hinterläßt auf den Arbeiten tatsächlich längst vergessene Spuren der Verletztheit und der Blendung, wie sie der frühen Fotografie eines Fox Talbot oder Muybridge noch anhaftete. Der Film erhält seinen zweiten Wortsinn zurück: den einer empfindlichen Schicht, in der sich das Licht einschreibt. Hymen oder Tabula rasa der Darstellung? Manchen Bildern merkt man die Angst vor einer solchen Festlegung auf Bedeutungsträger an. So läßt „Druid 2“ offen, ob es sich um einen Baum oder die zerklüftete Ansicht einer Endmoräne handelt. Der verkürzten Zeit im Bild der Fotografie ausweichend, mußten die Arbeiten von Angela Grauerholz neben den scharf in Schwarz und Weiß kontrastierten Frauenschamporträts der Zoe Leonhard auf der documenta verblassen.
Bis 23.12., Galerie Franck + Schulte, Mommsenstraße 56, Charlottenburg, Mo.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 10–15 Uhr
Der Argentinier Octavio Blasi nutzt die Sprache des Comics wie Scapin seine vor das Gesicht gehaltene Maske in der Komödie von Molière, als Schutz und Hinterhalt zugleich, aus dem heraus er seinen Spott treibt. Blasi versteht sich als „Beobachter des Systems“, das nicht um die hohen Werte der Ästhetik kreist, sondern nur Märkte erschließt. Dabei stapelt der bissige Maler allzugern tief. Fast rührend unmittelbar mutet die Entstehungsgeschichte seiner „Lebens- mittelbilder“ an: „Das erste Lebens-mittelbild entstand auf Wunsch der Mutter des Künstlers, die als praktizierende Buddhistin die täglichen Opfergaben von Früchten durch ein Bild ihres Sohnes ersetzen wollte.“ Die mütterliche Ikonenfreude übertrug sich auf den Sohn, während die Götter sich rasch verschoben. Eines der Grundmotive wurde der zur Mickeymouse gewandelte Künstler, der im Kampf mit dem mächtigen Kapital als Heilandersatz agiert. Bleibt der in Paris ansässige Maler jedoch bei der Darstellung von Lebensmitteln, besitzen seine Bilder einen ungleich feineren Humor. In Obst-, Gemüse-, Spaghetti- und Wurststilleben spielt er mit dem poprealen Abbild und surrealen Schriftkommentaren, die er als Titel unter die Bilder setzt. Leider geht deren oft unendlich tiefer Doppelsinn wie schon bei Duchamp oder Magritte in der Übersetzung verloren. Frankophile oder Philosophen werden dennoch ihren Spaß haben.
Ceci est de l'art – ausci/flard, bis 3.1., Haus der Kulturen der Welt in der Kongreßhalle, John-Foster- Dulles-Allee 10, Tiergarten, Di.–Do. 14–18 Uhr, Fr.–So. 10–20 Uhr
Die Harmonie in der Konzeption ist bemerkenswert: Ute Schwagmeyer und Carlotta Brunetti haben den Spannungsbogen zwischen Malerei und Plastik so präzise geschlagen, als wären Bilder und Gegenstände aus einem Guß, als würden sich in den Drucken Schwagmeyers die Formen der Objekte von Brunetti widerspiegeln. Die Galeristin nennt es „ähnliches Zeichenrepertoire“, es mag aber auch an einer beiden gemeinsamen Verehrung von Joseph Beuys und Eva Hesse liegen. In unendlich vielen feinen Schichten überzieht Ute Schwagmeyer Papier mit Wachs und Öl, läßt die Materialien behutsam aufeinander reagieren und fügt nur einige Kreidestriche hinzu, die sich auf der Oberfläche wie eine allegorische Schrift lesen. Die im Ungewissen belassene Typografie ergänzt sich mit dem seltsam matten Glanz, den die moorwasser- und flaschengrünen Farbflächen produzieren. Auch die aus Winzerfässern stammenden Holzbalken von Carlotta Brunetti sind auf einer mit Blei ummantelten Oberfläche mit einer Signatur versehen, deren Spuren sich in der Tiefe verflüchtigen. Doch gegen den trägen Mantel aus Blei kann der Glanz einiger goldener Tupfer kaum eine ernsthafte Spannung aufbauen. Der Skulptur droht eine lyrische Überfrachtung, die sich nur sehr geziert auf das schmucklose Material einläßt. Ein Eindruck, der sich schließlich an alle Holzplastiken heftet. Das Übermaß an Ebenmaß muß der Harmonie schaden.
Bis 5.12., Galerie T&A, Wallstraße 60, Mitte, Di.–Fr. 15–18 Uhr, Sa. 12–16 Uhr
Allzuweit ist auch »Whole – Das ganze Loch«, mit dem sich Die Praxis in der Galerie Interglotz — Atelier für Sinn, Kunst & visuelle Lösungen, Oranienstraße 188, beschäftigt, nicht vom Guten, Schönen und Wahren der altehrwürdigen Kunstphilosophie entfernt. Dem Harmoniegedanken des Aristophanes aus Platons Gastmahl verbunden, wird hier des Menschen und der Welten Ursprung als ungeteilt gedacht. Denn im Exempel vom schwarzen Loch fallen Leere und Umrandung zusammen, die harmonische Ordnung stellt sich also zwangsläufig durch die Gegebenheiten ein. Zur Erläuterung des bereits zur Jahrhundertwende ernsthaft diskutierten Leitmotivs der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts sind den Ausstellungsmachern und -macherinnen außer einem verschrobenen Meta-Comic in Katalogform ein wenig albern wirkende Exponate zugefallen: ein Doughnut, ein Rolomint-Bonbon oder die ausgediente Trommel einer Waschmaschine als ready-made. Sie geben zwar einen kleinen Einblick in die Praxis der patchworkenden Spurensucher – als Belege der holistischen Theorie eignen sie sich nicht, da sie selbst nur Symbole sind, als Repräsentanten bereits in Signifikat und Signifikant getrennt. Nur der Schlupf, ein nach innen gestülpter Fingerhut aus schwarzem Gummi, bleibt eine rätselhafte Erscheinung, die dementsprechend massenhaft auf einer im Raum schwebenden Lochtafel ausgestellt ist: als Paradebeispiel.
Bis zum 30.11., Mo.–Fr. 10–18 Uhr
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