: Mit der Dynamik einer Wanderdüne
■ FC St. Pauli: 0:0 gegen Homburg / Nur 10394 ZuschauerInnen am Millerntor / Grausames Gekicke / Finnen Verstärkung
0:0 gegen Homburg / Nur 10394 ZuschauerInnen am Millerntor / Grausames Gekicke/ Finnen Verstärkung
Trotz der Verpflichtung der finnischen Nationalspieler Ari Hjelm und Petri Järvinen fanden nur 10394 der eingefleischten St.Pauli- Fans den Weg ins Wilhelm-Koch- Stadion. Und sie wurden wieder enttäuscht. Gegen einen nicht minder schwachen Tabellen-Achten aus Homburg gab es erneut ein torloses Remis, mit phasenweise schauderhaften Szenen, bei denen sich selbst der Trainer einer Kreisliga- Mannschaft vor Scham im Rasen vergraben hätte.
So war der Übungsleiter der Heimelf, Seppo Eichkorn, nach der Partie vor allem von den (Nicht-) Leistungen seiner bundesligaerfahrenen Spieler entsetzt. Es ist einfach ein Rätsel, warum ein Jürgen Gronau nicht in der Lage ist, einen Ball aus dem Strafraum zu befördern, ohne dabei einen seiner Mannschaftskameraden die Lederkugel an den Hinterkopf zu ballern. Oder warum ein Ralf Sievers, der immerhin schon bei Eintracht Frankfurt gespielt hat, das taktische Verständnis eines F-Jugendlichen zur Schau stellt und dabei mühsam die Dynamik einer Wanderdüne entwickelt. Oder Finanzbeamter Klaus Thomforde, der nicht in der Lage ist, völlig unbedrängt einen Ball, der bereits ungefähr zwanzig Sekunden durch die Luft segelt, sicher zu fangen und ihn stattdessen einem Gegenspieler fast vor die Füße faustet. Oder Karsten Surmann nicht in der Lage ist, seinen Kopf nur fünf Zentimeter weiter nach vorn zu beugen, um eine schöne Flanke von Peter Knäbel im Tor unterzubringen.
Mut, Entschlossenheit, Selbstvertrauen. Attribute, deren Bedeutung beim Kiezklub derzeit keiner kennt. Die Zuschauer indes verschaffen sich dadurch Unterhaltung, daß sie die Bewältigung noch so simpler Aufgaben des Torstehers mit höhnischem Applaus untermalen. Und das ist die Crux des FC St.Pauli 1992. Es gibt einfach niemanden, der den Spielern effektiv darstellt, an ihre eigenen Qualitäten zu glauben. Man kann nur hoffen, daß die beiden finnischen Neuerwerbungen sich nicht von der allgemeinen Verunsicherung anstecken lassen. Denn: Sie sind durchaus eine Bereicherung für das Spiel des FC. Lange hat man kein gelungenes Dribbling oder einen überraschenden Paß mehr gesehen. Petri und Ari haben noch den Mut so etwas zu zeigen. Vielleicht sind sie es ja, die die Stammkräfte vom Millerntor mitreissen und zu den alten Leistungen zurückfinden lassen. Das hofft auch Seppo Eichkorn: „Mit dem Einstand der Finnen bin ich sehr zufrieden. Sie waren an fast jeder unserer gefährlichen Aktionen beteiligt.“ Das waren gegen Homburg zwar nicht gerade viele, aber immerhin, es gab sie. Der Betrachter des Spiels wagte nach derartigen Szenen die Äußerung „jetzt wissen sie wieder wie's geht“, und schon kam der nächste katastrophale Fehlpaß. Geht das so weiter, kommen zum nächsten Heimspiel wieder 2000 Menschen weniger ins Stadion. Die Perspektive ist klar: Am Ende der Saison haben die erfolgreichen Amateure des FC St.Pauli mehr ZuschauerInnen als die hochbezahlten Profi-Kicker. Andreas Hoffmann
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