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Ganz normal

■ betr.: "Die Musik ist nicht mehr gut, Sex ist out", taz vom 11.11.92

betr.: „Die Musik ist nicht mehr gut, Sex ist out“, taz vom 11.11.92

„Brother&Sister“. Eine Fotografie. Ein Beispiel aus vielen von Larry Clark, der damit vorgestellt wird. Funktion: Aufmacher, Anreiz, den Begleitartikel zu lesen. Ganz normal.

Gleichzeitig ein im wahrsten Sinne anschauliches Beispiel, mit welcher Sensibilität die taz mit dem Thema Sexualität umgeht. Auch ganz normal.

Für kritische Menschen – sprich Linke – gibt es ja keine Tabus mehr, nicht wahr. Folglich ist es kein Problem, ein Foto zu drucken, auf dem ein nackter Junge ein nacktes, gefesseltes Mädchen mit einer Pistole bedroht, was ihn sichtbar aufgeilt. Wie progressiv, wo doch andernorts Ständer als Pornographie beurteilt und ergo nicht gezeigt werden. Ein unkritisches Reproduzieren von Klischees (s. Leopardenmuster) und zugleich des Negieren einer brutalen Realität: Der Junge (oder Mann) agiert, das Mädchen ist ihm hilflos ausgeliefert – degradiert zum Objekt der Begierede. Aufschlußreich dazu auch der Text: „Das waren die Baby-Bilder... Es waren Schnappschüsse. Ich weiß nicht einmal, ob das Geschwisterpaar tatsächlich verwandt war... es sind immer... Teenager, die sich und ihre Sexualität entdecken... Ich zeige Bilder von Teenagern, wie ich selbst gerne einer... gewesen wäre.“ Sex und Gewalt – auch völlig normal.

Die Bedrohung, die davon ausgeht und die für viele Mädchen und Frauen nur allzu real ist oder war, scheint auch Männer nach wie vor nicht zu kümmern. Weder den interviewenden Journalisten, dem es um die avantgardistische Kunst der Fotografie geht, wobei der Inhalt nur zweitrangig sein kann. Noch scheint es den zuständigen Redakteur zu interessieren. Oder war es eine Redakteurin? Wie abgestumpft wird man bei der täglichen Zeitungsmache – immer am Brennpunkt, immer eine Nasenlänge voraus?

Die vernichtende, menschenverachtende Verknüpfung von Sexualität mit Gewalt ist immer noch völlig normal. Das Aufbegehren dagegen scheint nach wie vor fast ausschließlich von den Betroffenen auszugehen. Marion Neumann, Berlin

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