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Erotik, steckengeblieben

■ Josef Winklers Zitat-Offenbarungen über Jean Genet

Peinlich: Das Pariser Hotelbett, in dem der Schriftsteller Josef Winkler während seiner Dichterwallfahrt übernachtet hat, ist gar nicht, wie er angenommen hatte, das Bett, in dem Jean Genet am 15.April 1986 gestorben war. Als Josef Winkler seinen Irrtum bemerkt, läuft sein Gesicht „krebsrot“ an. Genet hatte ein paar Tage vor seinem Tod das Hotel gewechselt. Winklers Scham für die echten Gefühle im falschen Totenbett ist echt, aber sie bleibt die einzige glaubwürdige Seelenregung, die der Österreicher in seinem gerade erschienenen „Zöglingsheft des Jean Genet“ beschreibt.

Von dem lebensverändernden Lektüreschock hat er berichten wollen, den Genets Romane ihm als 22jährigem verursacht haben. Herausgekommen ist weder ein literaturkritischer noch ein biographischer Essay, weder eine Autobiographie der Lektüre noch eine der körperlichen Initiation – allenfalls von allem etwas. Der Titel des genrelosen Werks verdankt sich (ziemlich unmotiviert) dem „Zöglingsheft“, das Genets Pflegemutter vom Staat erhalten hatte, und das sie zurückgeben mußte, sobald Genet nicht mehr in ihrer Fürsorge stand. Von diesem Heft ist weiter nicht die Rede.

Bekannt geworden ist Josef Winkler als Romanautor, und zwar als bitterernster. Wie die meisten Schriftsteller des Alpenlandes verbindet ihn mit der Heimat eine energische Haßliebe, die man von Thomas Bernhard genauso kennt wie von Elfriede Jelinek, mit einem Gutteil Masochismus kombiniert. Winklers Sujets, aus denen er auch „seinen“ Genet zusammenzusetzen versucht, heißen: Marter, Katholizismus, Kindesmißbrauch, dörflicher Suizid, Gier der Beichte, Gebet, homosexuelles Begehren.

Seine Spezialität ist das Zitat. Im „Zöglingsheft“ jedoch gerät Winkler das Verhältnis von Zitiertem und Selbstgeschriebenem aus den Fugen. Das Buch beginnt mit Zitaten, endet mit Zitaten und quillt in der Mitte über von (manchmal unmittelbar aneinandergereihten) Zitaten. Über Jugendgefängnisse, Exekution, Selbstmord und natürlich über Genet läßt Winkler andere sprechen, und man muß annehmen, daß er „für sich“ sprechen läßt; denn niemals distanziert er sich, niemals läßt er einen Widerspruch aufkommen. Die Liste der Zitierten reicht von Sartre bis Hebbel. Die meisten der in den laufenden Text eingebauten Zitate aber rekrutiert Winkler aus Genets fünf Romanen; kursiv gedruckt, ohne Quellenangabe. Er wählt, was ihm gefällt.

Wenn Josef Winkler selbst das Wort ergreift, klingt das so: „Während ich mit dem aufgeschlagenen Buch [gemeint ist der Roman „Notre-Dame des Fleurs“] durch die Straßen ging, war ich nach wenigen Textabsätzen vollkommen verzaubert, schlug das Buch wieder zu und taumelte von Kaffeehaus zu Kaffeehaus, um wieder ein paar Zeilen zu lesen und innezuhalten.“ Es könnte ihn retten, wäre das ernst gemeint. Josef Winkler ist keinIroniker, und das scheint in diesem Fall sein Malheur zu sein. An Genet interessiert ihn nur das Enfant terrible: der aufsässige Fürsorgezögling, der Gefängnisinsasse, der Vagabund und Stricher, der von Sartre und Cocteau zum neuen Rimbaud stilisierte Genet. Winkler begeistert sich für primitive Klischees: Genet habe den Umgang mit „einfachen Leuten“ gesucht; er sei der Meinung gewesen, der Autor müsse „hinter sein Werk zurücktreten“. Es kann nur schiefgehen, wenn man Genets Gaunertum, das schelmisch war, ernst nimmt: „Nach einer wilden Verfolgungsjagd der französischen Polizei wurde Genet in der Rue des Couronnes in Paris festgenommen“ – Diebeskitsch ist eine Schlaftablette.

Josef Winkler ist nicht der erste Schriftsteller, der sich an Genet versucht. Vor 40 Jahren schon hatte Jean-Paul Sartre Genet zur philosophischen Ikone gemacht: „Heiliger Genet, Komödiant und Märtyrer“. Zarter geht ein anderer Verehrer Genets mit seiner Faszination um, Hubert Fichte. In dem Roman „Versuch über die Pubertät“ (1974) befragt er einige Sätze Genets daraufhin, was sie einem jungen Mann sagen, der gerade seine Lust auf Männer entdeckt. Weder Sartres Unverfrorenheit noch Fichtes Sinnlichkeit vermag Winkler etwas entgegenzusetzen. Statt dessen präsentiert er einen ausgelaugten und feigen Narzißmus. Nach der Lektüre eines Romans von Genet, verkündet Winkler, sei er „stolz“ auf seine „homoerotischen Neigungen“ gewesen. Winklers Erotik ist im letzten Jahrhundert gewissermaßen steckengeblieben – trotz Genet. Er entzückt sein Touristenauge an einheimischen „Knaben“. Ina Hartwig

Josef Winkler: „Das Zöglingsheft des Jean Genet“. Suhrkamp, engl. Broschur, etwa 120 Seiten, ca. 24DM.

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