piwik no script img

Mord im Auftrag der Herrscherfamilie

Der Präsident von Ruanda wird beschuldigt, über seine Schwager Todesschwadronen zu unterhalten/ Massaker, mysteriöse Morde und ein verhindertes Kriegsverbrechen  ■ Aus Kigali François Misser

Eine internationale Menschenrechtsmission wird im Dezember nach Ruanda reisen, um sich über angebliche Massaker im seit Oktober 1990 währenden Bürgerkrieg zu informieren. Seitdem damals die Guerillabewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF), die sich aus in Uganda lebenden Flüchtlingen des Tutsi-Volkes rekrutiert, über die Grenze nach Ruanda einmarschierte, sind weit über 1.000 Zivilisten ums Leben gekommen. Die RPF beschoß Flüchtlingslager mit Artillerie; zu Tode kamen aber auch Tutsis in Ruanda sowie unliebsame Oppositionelle, weitab der Front.

Für diese Morde soll eine Geheimorganisation verantwortlich sein, die von drei Schwagern des Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana geführt wird. Zu dieser Überzeugung kam bereits im September der belgische Politologe Filip Reyntjens, als er mit einem belgischen Senator das Land bereiste. Das Ziel der Organisation: Destabilisierung des Landes, um die seit einigen Monaten andauernden Friedensverhandlungen zwischen Regierung und RPF zu sabotieren und die Rückführung von Kriegsflüchtlingen zu verhindern. Außerdem solle der Bevölkerung weisgemacht werden, die Ernennung eines neuen Premierministers aus den Reihen der Opposition im April hätte zu Chaos geführt. Ein ehemaliger ruandischer Regierungssprecher nennt die Organisation „Degré Zero“.

Reyntjens Analyse stützt sich auf Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters der ruandischen Staatssicherheit, Janvier Africa, der seit dem 14. September in der Hauptstadt Kigali im Gefängnis sitzt. Er wurde verhaftet, nachdem er die Aktivitäten von „Degré Zero“ öffentlich machte und als Anführer außer den drei Präsidentenschwagern die Führer der Extremistenpartei des Hutu-Volkes, „Koalition für die Verteidigung der Republik“ (CDR), Verbündete der regierenden Ex-Einheitspartei MRND (Nationalrepublikanische Bewegung für Entwicklung und Demokratie), nannte.

Der taz erzählt Janvier Africa im Gefängnis von Kigali Einzelheiten. Zunächst sei er dafür eingesetzt gewesen, über „zu eliminierende“ Oppositionelle Informationen zu sammeln. Ab August 1991 habe er ein monatlich erscheinendes Propagandablatt herausgegeben. Als sein Führungsoffizier unter mysteriösen Umständen ermordet wurde, zog er es aber vor, in seiner Zeitung auszupacken.

Konkret beschuldigt Africa einen der Präsidentenschwager, Seraphin Rwabukumba, im vergangenen März einem Kommando der MRND-Parteimiliz einen Toyota- Minibus zur Verfügung gestellt zu haben, damit sie in der Region Bugesara Tutsis jagen und mit Macheten ermorden konnten.

„Nie im Leben eine Machete gekauft“

Seraphin Rwabukumba empfängt uns in einem mit Marienstatuen und Heiligenbildchen vollgestopften Büro. Nein, dementiert er und sagt, nie habe er einen solchen Minibus besessen. In seinem ganzen Leben habe er sich nicht einmal eine Machete gekauft.

Der zweite Schwager, der 56jährige Protais, der mit einem Stipendium des ruandischen Staates in Kanada studiert, meint ebenfalls: „Wie könnte ich Tutsis ermorden lassen? Die Oppositionspresse wirft mir vor, ihnen zu wohlgesonnen zu sein!“ Und der dritte, der Oberst Sagatwa: „Wenn ich eine Todesschwadron leiten würde, würde ich nicht mit einem armen Bauern anfangen, den ich gar nicht kenne. Das würde doch nichts nützen. Als Politiker würde ich mit dem Führer der Opposition beginnen. Man sagt, ich hätte Macheten verteilt. Wo habe ich die denn gekauft? Man braucht Beweise! Behauptungen reichen nicht.“

Dies überzeugt die Freunde Janvier Africas, die mehrere Todesdrohungen von einem dem Präsidenten nahestehenden Militär erhalten haben, nicht. Die Macheten, präzisiert einer, wurden beim MRND-Bürgermeister von Bugesara gelagert und dann von der Todesschwadron abgeholt.

All dies wird von der Menschenrechtsmission zu untersuchen sein. Nicht zu übersehen ist in Kigali jedoch schon jetzt die chronische politische Gewalt, der zumeist politische Gegner der Regierung zum Opfer fallen.

Am 18. Oktober wurde Straton Byabagamba, Nachrichtenmitarbeiter der katholischen Sendungen bei Radio Ruanda und Mitglied der oppositionellen Liberalen Partei, zu Hause ermordet. Gerichtliche Untersuchungen verweisen auf ein sechsköpfiges Mordkommando aus CDR-Mitgliedern. Am 30. Oktober griffen handgranatenbewehrte CDR-Aktivisten zusammen mit Polizisten das Parteigebäude der Sozialdemokraten an. Dann erhielt Faustin Twagiramungu, Vorsitzender der „Demokratischen Republikanischen Bewegung“ (MDR), der auch der Premierminister angehört, Schüsse durch sein Bürofenster.

Eintausend Häftlinge vor dem Tod gerettet

In Kigali herrscht Angst. Der einstige Oberstleutnant Charles Uwihoreye, der im Januar 1991 aus der Armee entlassen wurde, erzählt von mehreren Mordversuchen – für ihn ist dies, wie auch seine einjährige Inhaftierung bis zum Februar dieses Jahres, ein Racheakt der Geheimorganisation, da er sich vor seiner Entlassung geweigert habe, im ihm unterstehenden Militärbereich Ruhengeri ein „Kriegsverbrechen“ zu begehen.

Am 23. Januar 1991 habe Oberst Sagatwa ihm telefonisch aufgetragen, das Gefängnis von Ruhengeri mitsamt seinen damals über tausend Insassen zu zerstören. Sagatwa erklärte, dies sei ein Befehl des Präsidenten. Es sei um jeden Preis zu vermeiden, daß die in Ruhengeri einsitzenden politischen Häftlinge in die Hände der RPF-Rebellen fielen, die damals vor der Stadt standen und sie wenig später einnahmen.

Sagatwa, befragt, dementiert. Er habe diesen Befehl nicht gegeben. Wenn ihn überhaupt jemand gegeben hat, dann jemand anders. Außerdem hätte er ihn gar nicht geben dürfen, denn er war nicht Generalstabschef. Und, fügt er in seiner charakteristischen Art hinzu: Wenn man die politischen Gefangenen hätte eliminieren wollen, hätte dies ganz legal vor sich gehen können, weil sie ohnehin zum Tode verurteilt waren.

Wieder eine Aufgabe für die internationale Mission, an der auch „Africa Watch“ teilnehmen wird. Unterstützt wird sie von Premierminister Diamas Nsengiyaramye, dessen Position höchst prekär ist.

„Die Urheber laufen frei herum“

In einem Brief an den Präsidenten klagte Nsengiyaramye schon im September: „Die Urheber der wachsenden Unsicherheit laufen noch immer frei herum. Die Einmischungsmentalität bestimmter Behörden macht jegliche Initiative seitens der Justiz zunichte.“ Er beschuldigte die Präsidialgarde und die MRND-Parteimiliz, die Bevölkerung zu „terrorisieren“.

Er selbst geriet am 22. Oktober in Gefahr, als zwei Soldatentrupps in der Nacht das Militärlager von Kanombe verließen, um auf seine Residenz zu marschieren. Loyale Offiziere konnten sie schließlich zurückhalten. Putschgelüste, oder Mordversuch, wie es Nsengiyaramyes Partei meint? Die Soldaten, die immerhin schußbereit herumliefen, behaupteten, sie hätten nur gegen die Wiedereingliederung von zu Kriegsbeginn entlassener Offiziere protestieren wollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen