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Wir werden uns bewaffnen

Junge Türken wollen sich wehren / Freitag bleiben  ■ türkische Läden zu

„Zum Protest der rassistischen Morde in Mölln haben wir heute geschlossen!“ Dieses Schild wird Freitag und Sonnabend in den Fenstern der meisten türkischen Läden und Restaurants hängen. Viele der 70000 in Hamburg lebenden Türken werden am Freitag nicht an ihrer Arbeitsstätte erscheinen, ihre Kinder nicht in die Schule schicken. „Wir haben lange genug geschwiegen“, lautet der Tenor der Aktionen, die an den beiden Tagen stattfinden werden. Eine andere Reaktion auf die Morde in Mölln: Viele Türken wollen sich bewaffnen, um sich vor Übergriffen zu schützen.

„Das Vertrauen in die Polizei ist nach den Vorfällen von Rostock und Mölln gleich Null“, sagt der 28jährige Chemiefacharbeiter Atilla Ö. Seit den Morden von Mölln gibt es unter den in Hamburg lebenden Türken nur ein Thema: „Wie können wir uns wehren?“ „Bislang haben viele von uns geglaubt, daß fast nur die Asylanten Zielscheibe rechtsradikaler Anschläge sind“, weiß Atilla. „Das hat sich nun gründlich geändert“. Doch viele fürchten, daß die Polizei die Tatsache, daß sich immer mehr Türken zum Schutz bewaffnen, zum Anlaß nimmt, verstärkt die Räume türkischer und kurdischer Vereine und Privatpersonen zu durchsuchen.

Im „Volkshaus“ an der Feldstraße, einer der wichtigsten türkischen Treffpunkte in der Hansestadt, herrscht seit Tagen Hochbetrieb. Aktionen werden vorbereitet, über Selbstverteidigung diskutiert. „Viele von uns werden jetzt ständig eine Waffe tragen“, weiß Güsi F. von der „Widerstandsinitiative gegen Rassismus“. In besonders bedrohten Stadtteilen wie Billstedt und Bergedorf sollen Nachtwachen organisiert werden, um Anschläge zu verhindern.

Gerade bei den Jugendlichen, die seit ihrer Geburt in Deutschland leben, perfekt Deutsch sprechen, aber aufgrund ihrer schwarzen Haare ständig wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, ist die Wut groß. „Sie haben bisher alles geschluckt, sich immer wieder demütigen lassen — aber nach den Möllner Morden ist das Faß übergelaufen“, hat Atilla beobachtet.

Die Stimmung ist aufgeputscht. Immer wieder hat Atilla Ö. von türkischen Jugendlichen in den vergangenen Tagen die Worte gehört: „Angriff ist die beste Verteidigung — lieber bringe ich die Faschos um, bevor sie mich erwischen“. Er weiß, daß sich Gangs gebildet haben, die die Neofaschisten an ihren Treffpunkten aufsuchen wollen. Auch Güsi S. prophezeit: „Es wird Angriffe geben, denn solange Skin- Treffs existieren, sind wir gefährdet“. Atilla befürchtet, daß es zu einer „Welle der Gewalt“ kommen wird. „Wenn ein Deutscher einem Türken nur ein falsches Wort sagt, wird er dessen aufgestauten Zorn zu spüren bekommen“.

Telefonketten werden organisiert, die Kontakte zwischen den türkischen und kurdischen Kulturvereinen intensiviert. „Wir müssen uns in Hamburg straffer organisieren, um gegen die Neofaschisten etwas ausrichten zu können“, sagt Güsi S. Auch die Hamburger Antifa-Gruppen werden von der Kritik nicht ausgenommen. „Viele von uns glauben, daß Demonstrationen allein nicht mehr genügen, und haben das Gefühl, daß die Antifa- Gruppen kaum den Kontakt zu Ausländern suchen“, sagt der türkische Sozialpädagoge Adil G.

Doch nicht nur die Türken sind näher zusammengerückt. „Viele von uns haben den Asylsuchenden die Schuld daran gegeben, daß wir als „Nichtdeutsche“ kaum Rechte haben und keine Wohnungen kriegen“, hat der 29jährige Facharbeiter Mehmet K. beobachtet. Die „türkischen Rassisten“ aber hätten durch die Möllner Morde eine bittere Lektion bekommen. Mehmet K.: „Wir sind dabei, die Spaltung zwischen Ausländern mit unterschiedlichem Status zu überwinden“. Marco Carini

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