: Somnamboulevard – Ihren Drogenführerschein bitte! Von Micky Remann
Räumen wir ein weitverbreitetes Mißverständnis aus: Träumen schützt nicht vor der Begegnung mit bewußtseinserregenden Substanzen. Im Gegenteil, ein Hirn im Klartraum, dem gesagt wird: „It's LSD time!“ weiß genau, welche Pfauenschwänze des Bewußtseins es aufzufächern gilt.
Gerade weil der Somnamboulevard keine cleane Just-say-No- Zone ist, nutzen viele die moralischen wie juristischen Freiheiten unseres Straßenzugs, um sich mit Psychedelika und Halluzinogenen vertraut zu machen, von denen sie im Wachzustand eher die Finger lassen würden. Tatsache und Genuß psychedelischer Reisen stehen also nicht im Traum zur Debatte, wovon wir künden, ist vielmehr der somnambulspezifische Umgang mit ihnen.
Wir haben uns nämlich eine Straßenverkehrsordnung gegeben, die gleich im Paragraph Eins feststellt, daß, so wie ein Autor ein Fahrzeug im Sinne der äußeren Mobilität ist, eine Droge als Fahrzeug zur inneren Mobilität zu verstehen ist. Für uns Schlafwandler und -fahrer ist es eine Selbstverständlichkeit, daß beide Fortbewegungsmittel legal sind, die äußeren genauso wie die inneren, und somit dem Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung unterliegen.
Entsprechend lautet Paragraph Zwei, daß für das Steuern eines psychedelischen Innenweltfahrzeugs – logo! – ein Führerschein erforderlich ist. Mit dieser Regelung haben wir derart positive Erfahrungen gemacht, daß wir uns fragen, wann sie endlich auch im Wachzustandsverkehr übernommen wird.
Niemand wird im Traum genötigt, diese oder jene Droge zu benutzen, aber die sich dazu entscheiden, sollten über Power, Beschleunigung und Reiseradius, über Dämonen und Ekstasen der verwendeten Substanz so gut Bescheid wissen wie normale Fahrschüler über Pferdestärken und Bremswege ihres KFZs, ganz zu schweigen von der Bedeutung der Ampeln und Verkehrsschilder.
Zu diesem Zweck haben wir anerkannte Drogenfahrschulen eingerichtet, wobei es keiner weiteren Erörterung bedarf, daß als Fahrlehrer nur solche Personen in Frage kommen – und es gibt sie in großer Zahl –, die sich mit den entsprechenden Substanzen wirklich gut auskennen. Die Drogen sind, analog den Kraftfahrzeugen, in Führerscheinklassen unterteilt, im Sinne von: Je wuchtiger die Wirkung im Hirn – oder auf der Straße – desto gründlicher die Fahrschulausbildung.
Gegen Vorlage des Führerscheins sind die Stoffe frei erhältlich, wobei die Steuereinnahmen aus dem inzwischen legalen Handel für die Einrichtung der Drogenfahrschulen verwendet werden. Seit der Einführung des pschedelischen Führerscheins auf dem Somnamboulevard ist hier nicht nur die Zahl der Drogentoten rapide gesunken, auch die Zahl der Verkehrstoten ging zurück. Denn viele Verkehrswütige, die ehedem mit 200 Sachen über die Pisten der äußeren Mobilität zu rauschen pflegten, haben erkannt, daß sich ihr zugrundeliegender Wunsch eigentlich auf den Rausch der inneren Mobilität gerichtet hatte. Nun, da dieses Bedürfnis nicht länger tabuisiert und kriminalisiert wird, können sie ihm endlich gebührend nachgehen – sofern sie die theoretische und praktische Drogenführerscheinprüfung bestanden haben.
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