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Wir wollten den Staat nicht stürzen

Doppelt gefilmt: ein Gespräch mit Betroffenen über verbotene Filme in der DDR  ■ Von Sibylle Burkert

Ein kleines Häuflein Interessierter hatte sich im trüben Novemberregen am Samstag früh vor dem Brecht-Haus in der Chausseestraße eingefunden, um gemeinsam mit einem alten Regieteam einen Film anzusehen, der bis zur Wende im Giftschrank des DEFA-Archivs lag und seit 1990 in einer rekonstruierten Fassung vorliegt. Es ist „Wenn du groß bist, lieber Adam“, diese wunderbare leichte Komödie von Egon Günther und Helga Schütz, die 1965 entstand und noch vor der Fertigstellung den ideologischen Doktrin des 11.Plenums der SED zum Opfer fiel.

Das Brecht-Zentrum, das diesen Film und andere, die zur selben Zeit dasselbe Schicksal traf, bereits im letzten Sommer vorführte, hatte zu einem Gespräch mit Egon Günther, Helga Schütz und dem Kameramann Helmut Grewald eingeladen. Während Helga Schütz ruhig und gelassen über damalige Ereignisse sprechen kann, ist Egon Günther die Wut und Verbitterung immer noch deutlich anzumerken. Immer noch kann er sich über die entsetzliche Dummheit und Borniertheit der weisungsbefugten SED-Genossen erregen, plastisch beschreibt er das Anliegen der damals jungen Filmemacher, beeinflußt vor allem durch polnische und tschechische Produktionen, etwas Neues auch in der DDR zu versuchen, formal andere Wege zu gehen.

Entwaffnend bescheiden reagiert Günther auf die Frage, warum dieser Film gerade so und gerade zu diesem Zeitpunkt gedreht worden ist: „Es rief mich ein Kollege an und sagte: ,Du, mach mal, es geht gerade.‘“ Das, was heute von vielen so gern als Widerstand gegen Partei und Staat dargestellt wird, beschreibt Günther einfach als Widerspruch. „Ja, wir wollten etwas anstellen“, erinnert er sich, „wir wollten einen schönen Film machen, wollten Grenzen sprengen, aber natürlich nicht den Staat stürzen.“

Ein Besucher aus dem Westteil der Stadt fragt nach Unterstützung und Solidaritätsbekundungen durch Kollegen. Aber Solidarität von anderen Regisseuren gab es nicht, „und wenn es sie gegeben hätte, wäre jeder von uns gut beraten gewesen, darauf nicht einzugehen. Das Mißtrauen war da und sehr wohl begründet.“ Als wirklich bedrückend benennt er den Fakt, daß zu keiner Zeit wirklich Reformen möglich gewesen seien. Die Herrschenden seien immer auf Unfreiheit ausgewesen, denn Freiheit hätte sie beseitigt. „Für uns hieß das: Wir hatten nie eine Chance, aber wir haben sie immer genutzt.“

Wie verknöchert der ganze Apparat war, zeigt sich an einer kleinen Episode, die der Kamaramann zum besten gibt: In einer Bahnhofsszene war Wolf Biermann mit einer winzigen Rolle besetzt. Die Dreharbeiten wären abgebrochen worden, wenn das Regieteam auf dieser Besetzung bestanden hätte. Die Szene wurde gestrichen.

Und heute? Wie sieht Günther seine Situation jetzt? „Die alte Not ist gegen eine neue eingetauscht. Ich möchte seit drei Jahren „Kasandra“ von Christa Wolf verfilmen, aber niemand ist bereit, einen Pfennig dafür zu geben.“ 1990 hat Egon Günther in Potsdam den letzten Film gedreht, der mit DEFA-Geldern finanziert worden ist. „Stein“ mit Rolf Ludwig in der Hauptrolle, der nur wenige Wochen in den Kinos lief. Günthers Trauer über die Abwicklung der Babelsberger Studios ist groß, und er ist sicher, daß sie nur aus Angst vor Konkurrenz so radikal vonstatten ging. „Vor ein paar Wochen war ich mit meinen Studenten dort, um ihnen das Gelände zu zeigen“, erzählt er. „Da kam eine Frau auf mich zu und fragte nach meinem Namen. Sie wies uns an, uns ruhig zu verhalten, damit wir die Touristenführung, die gerade stattfand, nicht stören.“ Er scheint seinen eigenen Worten nachzulauschen. „Mein Gott, diese Studios waren mein Zuhause.“

Den Abschluß des Tages im Brecht-Zentrum bildete ein Dokumentarfilm von Helga Schütz und Egon Günthers „Lenz“, eine Koproduktion von ORB und Saarländischem Rundfunk. Der Film erzählt das Leben des Jakob Michael Reinhold Lenz bedauerlicherweise auf jene kitschige sentimentale Art, die Widersprüche verwischt und sich auf schönen Bildern ausruht. Die Unterschiede zu „Adam“ sind immens. Es liegen eben mehr als nur sechsundzwanzig Jahre dazwischen.

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