Aids: "Mittelalterliche Praktiken"

■ Welt-AIDS-Tag im Gedenken an die Leidenden und Verstorbenen / Symposium der AIDS-Hilfe diskutiert verbesserte Therapieangebote / Heftige Kritik an Vertretern der sogenannten "AIDS-Lüge"

Berlin. Kontroverse Positionen zur Ursache von Aids gab es im Vorfeld des am kommenden Dienstag stattfindenden Welt- Aids-Tags. Während auf dem Öffentlichen Aids-Symposium unter Schirmherrschaft von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) der Forschungs- und Behandlungsstand im Kampf gegen HIV und Aids diskutiert wurde, stellten auf einem Forum in der Humboldt- Universität der amerikanische Wissenschaftler Peter Duesberg Thesen zur sogenannten „Aids- Lüge“ dar.

Auf dem 2. Öffentlichen Symposium der Berliner und der Deutschen Aids-Hilfe stand der Mensch als Betroffener im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Gesund bleiben mit HIV und Aids“ debattierten rund 200 Teilnehmer über den Stand ambulanter und stationärer Betreuung, über spezifische Probleme von Frauen mit Aids, über Therapieangebote der Schulmedizin wie der Naturheilkunde.

Auf die teilweise „mittelalterlichen“ Praktiken im Umgang mit Betroffenen, vor allem in ländlichen Gegenden, machte Beate Steven von der Deutschen Aids- Hilfe aufmerksam. So würden nicht wenige niedergelassene Ärzte Aids-Patienten als „hofschädigende Klientel“ betrachten und eine Behandlung ablehnen. Auch seien selbst gängige Therapieformen oder Laborparameter beim HIV-Test oftmals unbekannt, so daß die Patienten in naheliegende Großstädte überwiesen werden.

Vom „geradezu unmenschlichen Umgang“ mit Betroffenen in Berliner Krankenhäusern berichtete Bernd Vielhaber vom HIV e.V.

So sei ein Patient vier Tage lang weder von einer Krankenschwester noch von einem Arzt angefaßt worden. Noch immer sei Aids etwas, was mit „Igitt“ angefaßt werde. Die Folge sei eine permanente Unterversorgung von Menschen mit HIV und Aids.

Gesundheitssenator Peter Luther hatte zuvor darauf verwiesen, daß Berlin in diesem Jahr bundesweit die meisten Mittel – 15 Millionen Mark – für Prävention und Behandlung zur Verfügung gestellt habe. Gleichzeitig sprach er sich für mehr Aufklärung in der Bevölkerung aus, um Aids mit einer gezielten Vorbeugung in die Schranken zu weisen.

Safer-Sex gegen Aids sei „genauso wirksam wie eine Gasmaske gegen ein Maschinengewehr“, behauptete Prof. Duesberg auf dem paralell stattfindenden Forum, an dem rund 130 Ärzte, Heilpraktiker und Medizinstudenten teilnahmen. Duesberg gilt als prominentester Vertreter der „Aids-Lüge“. Er vertritt, daß Immunschwäche die Basis jeder Krankheit ist. Die Symptome der Krankheit gebe es schon lange, ihr komplexes Auftreten jedoch sei auf eine Reihe immunschwächender Faktoren zurückzuführen wie Drogen, Medikamente oder Unterernährung, sagte der Konstanzer Biologe Stefan Lanka. Hier lägen auch die Ursachen von Aids.

Gegen die Behauptung, Aids beruhe nicht auf dem HIV-Virus, haben sich Vertreter der Deutschen Aids-Hilfe gewandt. Es sei „empörend“, daß der Duesberg- nahe Film „Die Aids-Rebellen“ von den Filmförderanstalten der Bundesländer Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg mit etwa 570.000 Mark unterstützt wurde, sagte Aids-Hilfe-Sprecher Michael Lenz. Der Film wurde gestern abend in der Humboldt-Universität gezeigt.

Zum Welt-Aids-Tag am 1.Dezember soll der weltweit neun bis zehn Millionen HIV-Infizierten sowie der 500.000 an Aids Erkrankten und Verstorbenen gedacht werden. Die Hauptveranstaltung der Deutschen Aids-Hilfe unter dem Motto „Aids – die Verantwortung gemeinsam tragen“ wird an diesem Tag im Berliner Naturkunde-Museum stattfinden. Unter dem Titel „Aids hat viele Namen“ soll eine Installation aus Pflastersteinen gezeigt werden, in die die Namen verstorbener Aids- Kranker eingemeißelt sind.

Experten verwiesen in Berlin auf die fehlende oder nur in Ansätzen vorhandene gesundheitliche Versorgung der Aids-Kranken in Entwicklungsländern. Forschung und Therapie seien ausschließlich Themen der Industriestaaten, sagte Markus Faigle vom Vorbereitungskomitee der 9. Internationalen Aids-Konferenz, zu der im Juli 1993 in Berlin 15.000 Gäste erwartet werden. 85 Prozent aller Infizierten und Erkrankten leben außerhalb Europas und Nordamerikas.

Nach Angaben des Aids-Zentrums im Bundesgesundheitsamt waren zum 31. Oktober in der Bundesrepublik 54.548 HIV-Infektionen registriert; 8.985 waren an Aids erkrankt, davon 4.698 verstorben. In Berlin waren zum genannten Stichtag 1.890 Personen an Aids erkrankt, davon waren 895 verstorben. Für Ostberlin wurden 31 Aids-Fälle angegeben, davon 18 Verstorbene. dpa/adn/taz