: Israel: Sanktionen gegen Deutschland?
■ Rabin und Peres gegen radikale Schritte, die Regierungsmitglieder und Oppositionsparteien gegen Bonn verlangen / Gewerkschaftszeitung kritisiert Fehlen von Maßnahmen gegen Rechte in Israel
Tel Aviv (taz) — In der öffentlichen Debatte über das Erstarken des Neonazismus in Deutschland gehen die Meinungen in Israel auseinander. Vor allem in der Diskussion über Sinn und Zweck eventueller Sanktionen gegen Deutschland ist man geteilter Meinung, und es ergeben sich überraschende Bündnisse der rechten und linken Opposition gegen Teile der Regierung. Zwar hat das Kabinett Rabin gestern zum ersten Mal eine scharfe öffentliche Verurteilung der bedrohlichen Entwicklung in Deutschland ausgesprochen, doch enthielt es sich jeder Andeutung einer Sanktionsdrohung.
Wie die israelischen Medien gestern berichteten, wandten sich Ministerpräsident Rabin und Außenminister Peres gegen die von Erziehungsministerin Schulkamit Aloni (Merez) vorgeschlagene Androhung eines Deutschland- Boykotts. Peres erklärte, man müsse die Bonner Regierung vielmehr in ihren verschiedenen Aktionen gegen den Rechtsradikalismus unterstützen. Damit erteilen sie auch der Forderung des oppositionellen Likud-Fraktion nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Bonn eine Abfuhr.
Erziehungsministerin Aloni hat an diesem Wochenende bekanntgegeben, daß sie die Weltjudenheit zu einem Boykott der Bundesrepublik aufrufen werde, falls Bonn nicht sehr hart gegen den Neonazismus einschreite. Sie wies das Argument zurück, daß dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheit eines anderen Staates sei. „Als Menschen und Regierung einer Demokratie sind wir verpfichtet uns einzumischen, wo es Rassismus und Verfolgung gibt. Angesichts unserer eigenen Erfahrung haben wir dazu ein moralisches Recht, ja eine Verpflichtung. Wir müssen die Welt warnen und der geschätzten deutschen Regierung sagen, daß sie die Lage unter Kontrolle bringen muß.“
Auch andere Mitglieder der Regierungsparteien, wie der Führer der Koalitionsfraktion in der Knesset, Eli Dayan (Arbeitspartei), verlangen mehr als scharfe Erklärungen. Er forderte den Parlamentsvorsitzenden Weiß auf, die geplante Reise von drei Knesset-Mitgliedern der parlamentarischen „Israel-Deutschland-Gesellschaft“ abzusagen. Die drei Abgeordneten wollen dennoch nach Bonn fliegen, wo sie die israelische Position zur Neonazi-Frage vorbringen wollen.
In ihrer eher moderaten Haltung werden Ministerpräsident Rabin und Außenminister Peres aus Kreisen der Histadrut-Gewerkschaft jedoch unterstützt: Die Gewerkschaftszeitung Davar wies in einem Kommentar die Vorschläge von Aloni und der Likud- Opposition als „übertrieben“ zurück. Statt Deutschland zu boykottieren, solle man lieber die „vernünftigen Kräfte in Deutschland“ unterstützen. Wegen einzelner Übeltäter dürfe nicht die Mehrheit bestraft werden. Außerdem müsse man sich auch in Israel fragen, ob „wir selbst genügend effektive Schritte unternommen haben, um die rechtsradikalen, rassistischen Ausschreitungen hier (Kahane- Organisationen u.a.) zu unterbinden“.
Der Psychologe Olek Nezer schrieb gestern im Davar, daß die Lage in Israel in verschiedener Hinsicht sogar ernster sei als in Deutschland. In der BRD habe es Massenproteste gegen Neonazis gegeben. Sogar der Staatspräsident und die Spitzen der Behörden hätten sich zu Wort gemeldet. „Bei uns gibt es nichts dergleichen. Weder linke Organisationen noch Jugendverbände und keine einzige Juristenorganisation sind dagegen eingeschritten.“ Nicht nur wirkungsvoller Protest gegen die jüdischen rechtsradikalen Gruppen und ihre gewalttätigen Aktionen fehlt nach Auffassung von Nezer. In Israel gebe es zwar seit sechs Jahren ein Gesetz gegen rassistische Propaganda, aber die Polizei habe keinen Auftrag, rassistische Hetze und Ausschreitungen zu verhindern, vor allem wenn sie gegen Palästinenser oder israelische Araber gerichtet sei. Niemand sei bisher aufgrund dieses Gesetzes bestraft worden. Amos Wollin
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen