: Karlsruhe gegen Fristenlösung?
■ Der neue Paragraph 218 in Gefahr/ Richter voreingenommen
Berlin (taz) – Gut eine Woche bevor die Karlsruher Richter des Zweiten Senats über die Verfassungsmäßigkeit des vom Bundestag im Sommer beschlossenen Abtreibungsrechts verhandeln werden, kommt wieder Bewegung in die Diskussion um den §218. Da das Bundesverfassungsgericht nicht nur die neue Fristenregelung mit Beratungspflicht unter die Lupe nehmen wird, sondern auch über die seit 1990 anhängige Bayern-Klage verhandeln will, verstärkt sich der Eindruck, daß die Fristenregelung im zuständigen Zweiten Senat äußerst umstritten ist. Bayern klagte 1990 gegen die soziale Indikation und fordert seither eine restriktivere Handhabung dieser Praxis.
Besorgniserregend auch, daß ausgerechnet der von der SPD nominierte Verfassungsrichter Ernst- Wolfgang Böckenförde bis zum Eingang der bayerischen Klage Mitglied der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ (JVL) war. Als Lebensschützer sind auch die vom Verfassungsgericht beauftragten Gutachter, der Konstanzer Sozialrechtler Bertram Schulin und der ebenfalls in Konstanz ansässige erzkonservative Zivilrechtsprofessor Rolf Stürner, bekannt. Beide hatten den Auftrag, die Auswirkungen der Fristenregelung auf verschiedene Bereiche der Sozialordnung zu untersuchen. Stürner, ebenfalls Mitglied der JVL, gab Ende Oktober sein Gutachten ab. Nach Informationen des Spiegels erörtert er darin auf 144 Seiten, wie Abtreibungen wieder verschärft werden könnten. So erwägt er z.B., ob Krankenkassen Abtreibungen bezahlen müssen, ob Frauen, die abtreiben, Kündigungsschutz erhalten sollten oder ob werdende Väter eine Schwangere per Gerichtsbeschluß zum Austragen eines Kindes zwingen dürften.
Angesichts dieser Tatsachen bezweifelte Brandenburgs Frauenministerin Hildebrandt vergangene Woche, daß das Verfahren in Karlsruhe unparteilich geführt werde. Zusammen mit den Ministerinnen der sozialdemokratisch regierten Länder brachte sie auf der Frauenministerinnenkonferenz der Länder einen Entschließungsantrag ein, in dem es hieß, dem Urteil des Verfassungsgerichts dürfe „nicht der Makel anhaften, auch von Richtern getroffen worden zu sein, die den Anschein von Voreingenommenheit erweckt haben“. Die Entschließung scheiterte jedoch am Widerstand der CDU-geleiteten Frauenministerien. Die Vertreterin Bayerns und die Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Yzer (CDU), erklärten, die Konferenz dürfe sich als politisches Gremium nicht dazu verleiten lassen, Gerichte zu beurteilen. flo
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