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Wirbelsturm im Sturmwirbel

DFB-Pokal, Viertelfinale: Karlsruher SC unterliegt Eintracht Frankfurt nach großem Spiel im Elfmeterschießen mit 3:5 (0:1, 1:1)  ■ Aus Karlsruhe Ulrich Fuchs

Sturm hieß das Zeichen, das der Wettergott geschickt hatte, und siehe, die Spieler hatten es empfangen. Als wollten sie es ihm gleichtun, fegten die 22 Menschen unermüdlich, mit wechselnden Richtungen über das grüne Geviert, wirbelten, ließen nach, brausten erneut auf und wollten von ihrem wilden Treiben nicht ablassen, damit auch die 30.000, die gekommen waren, die Botschaft mitnehmen und im Lande verbreiten sollten.

Was bei den naturgemäß dickköpfigen Badenern weiß Gott nicht einfach ist. Aber auch das sollte gelingen. Aller äußeren Unbill zum Trotz harrten sie nicht nur aus, sondern entfachten ihrerseits Stürme der Begeisterung und wollten gar außer Rand und Band geraten. Selbst als die Karlsruher Pokal-Hoffnungen am Ende jäh hinweggefegt worden waren, durfte der Chronist Zeuge werden, wie sich ein Tribünenbesucher von seinem Nachbarn mit der Bemerkung verabschiedete: „Aber ä guds Schpiel häm ma gsä“ (im Orginalton ganz langsam gesprochen) – ein badischer Superlativ, der Kennern dieses Gemüts von tiefen inneren Aufwallungen zeugt.

Zuvor hatte schließlich die Glücksgöttin einschreiten müssen, um – von wegen, ein Spiel dauert 90 Minuten – dem stürmischen Treiben nach 120 Minuten und Elfmeterschießen mit einer wahrhaft salomonischen Entscheidung ein Ende zu bereiten: Einer, der für gewöhnlich zu der einzigen Aufgabe verdonnert ist, sich den heranstürmenden Gegnern in einem nur wenig über sieben Meter breiten Alu- Kasten entgegenzustellen, durfte einen Elfmeter-Anlauf lang und in der Sekunde, in der der von ihm getretene Ball den Weg in Kollege Kahns Gehäuse fand, die Lust der Stürmer kosten.

Danach verschwand Ulrich Stein, begleitet von frenetischen „Uli, Uli“-Rufen, unter einem Berg von Frankfurter Kicker-Leibern – und alles war vorbei. Zu Ende ein Pokalmatch, in dem zwei Mannschaften von der ersten bis zur letzten Minute alles gezeigt hatten, was solche Spiele versprechen. Geprägt von „Kiki“ Kirjakow, dem Karlsruher Dribbel-Genie, dem unbestechlichen Auge und Ballgefühl eines Uwe Bein und dem Selbstbewußtsein und der Antrittschnelligkeit des Frankfurter Amateurs Jay-Jay Okocha. Ein Spiel, in dem beide Seiten ihr Heil in der Offensive gesucht hatten, hüben wie drüben beste Chancen herausgespielt und in Serie versiebt wurden.

Und Winnie Schäfer, der gestenreiche Beschwörer an der Seitenlinie? Sitzt auf der Pressekonferenz und löffelt Joghurt. Ja, Joghurt – aus dem Hause des Trikot- Sponsors. Was geht in dem Mann vor, fragt man sich da. So cool, daß er auch in diesem Moment den kommerziellen Teil des Geschäfts nicht aus dem Auge verliert? Frust-Fraß? Schonkost für angegriffene Magennerven? Und endlich spricht er. Berührt, bewegt. Was in Karlsruhe im Moment passiert, das wäre „wie in Gladbach vor zehn Jahren“.

Mensch, Winnie, will es einem herausrutschen, du meinst, vor zwanzig Jahren. Vor zehn ging es doch schon steil bergab, der HSV und Bayern hatten das Sagen. Doch wir lassen ihn gewähren, verzeihen den Freudschen Ver-Erinnerer im tragischen Augenblick, denn die eigentliche Botschaft haben wir verstanden: Winfried Schäfer will mit dem KSC seinem Ziehvater Hennes Weisweiler nacheifern und der „Don Winnie“ der Liga werden.

Auch Dragoslaw Stepanovic trügt, wenn auch nur für eine Sekunde, die Erinnerung: „Ein Subber-Schpiel und Tore – ähm, ned viel, zwei.“ Aber auch dem Serben verzeihen wir gern. Denn schon das eine Tor, das die Frankfurter im regulären Spielverlauf erzielt hatten, läßt das Herz im Deutschland 1992 gleich doppelt jubeln. Der Nigerianer Okocha wieder mal von rechts, auf Uwe Bein, der zauber-brasilianisch auf den Ghanaer Yeboah, und drin ist das Ding. Dazu der Schlenzer des Russen Schmarow zum 1:1. Wie sagte Stepi, serbisch-hessisch: „Subber!“

Eintracht Frankfurt: Stein - Binz - Roth, Bindewald - Okocha, Bommer, Bein, Komljenovic (113. Studer), Weber - Schmitt (106. Kruse), Yeboah

Zuschauer: 30.000

Tore: 0:1 Yeboah (40.), 1:1 Schmarow (50.)

Elfmeterschießen: 0:1 Bein, 1:1 Reich, 1:2 Bommer, 2:2 Metz, 2:3 Binz, Wittwer verschossen, 2:4 Okocha, 3:4 Carl, 3:5 Stein

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