piwik no script img

■ Eine eigene Partei für jedes Partikularinteresse... und wo die ImmigrantInnen?

Wo plötzlich tausenderlei Partikularinteressen aufkommen, sich nicht mehr mit anderen Partikularinteressen vereinen lassen und somit die bisherige notdürftige Unterbringung unter einem Dach unmöglich wird, sind besonders all jene aufs höchste gefährdet, die sowieso bisher nur sehr schwach vertreten sind. Aus dem Zerfall großer Sammelbecken geht in der Regel lediglich eine Verselbständigung jener Gruppen hervor, deren Leute schon bisher in der Führungsspitze der Parteien saßen. Sehr weit nach „unten“ reicht das aber nicht. Und so fallen bestimmte Gruppen dann ganz heraus – um so mehr, wenn man auf sie auch als Wähler keine Rücksicht nehmen muß, wie bei uns ImmigrantInnen.

Wenn eine große Volkspartei sich bisher um uns gekümmert hat, kamen derlei Ansätze aus der Arbeiterbewegung (etwa von den Kommunisten, den Sozialisten oder den Sozialdemokraten) oder der christlichen Soziallehre (bei den Konservativen). Diese ImmigrantInnen-Helfer haben aber nur solange Gewicht, wie sie die Interessen der Immigranten mit denen der anderen Arbeiter der Betriebe oder auch ihrer allgemeinen Ideologie vermengen und teilweise gar identifizieren konnten. Fällt dies weg, ist es aus mit der wenigstens noch ansatzweise vorhandenen Vertretung.

Genau das passiert aber, wenn sich die Großparteien auflösen und die entstehenden kleineren Gruppen nur noch Partikularinteressen vertreten. Wenn der Mittelstand sich parteilich selbst organisiert, muß er keine Rücksicht mehr auf den Arbeitnehmerflügel walten lassen. Wenn sich Pensionisten abspalten, brauchen sie in ihrem Programm nicht auf Aidskranke oder Türken einzugehen. In den großen Volksparteien mochte man das so oder so entscheiden – aber Farbe bekennen mußte man jedenfalls, und das gab für uns ImmigrantInnen Bezugspunkte, an denen wir uns festhalten konnten.

All das fällt weg, wenn die „Großen“ sich zersplittern. Würde eine ImmigrantInnen-Partei Sinn machen? Wohl nicht, solange das übergroße Heer der Einwanderer kein Wahlrecht hat. Es mag merkwürdig klingen ob all der Demütigungen, die uns derzeit in allen europäischen Staaten gerade die großen Volksparteien zumuten: aber der Verfall dieser großen Interessensdächer macht unsereinem noch mehr Angst als ihr derzeitiger Wankelmut. Charim Al Baker

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen