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Gentrifizierung auf dem LandJenseits von Eden

Holzkirchen im bayrischen Oberland gilt als Vorbildgemeinde. Doch steigende Mieten und zunehmender Verkehr sorgen für Probleme.

von MARVIN ROSÉ 

In Holzkirchen scheint alles perfekt: Die Bevölkerung wächst seit Jahren, es gibt eine direkte S-Bahnanbindung in die bayrische Landeshauptstadt und große Unternehmen wie Bosch und Hexal bescheren der Marktgemeinde eine hohe Wirtschaftskraft. Als würde all dies nicht reichen, ist die 1111 Jahre alte Gemeinde mit ihren über 16.000 Einwohner*innen auch noch paradiesisch gelegen. Tegern- und Starnberger See sind nicht weit, am Horizont erheben sich die ersten Vorläufer der Alpen.

Als es darum ging, Flüchtlinge in das kommunale Leben zu integrieren, packten die Holzkirchener*innen mit an, gründeten Initiativen und engagierten sich ehrenamtlich. Es fällt schwer etwas zu finden, das in Holzkirchen nicht funktioniert und das Postkartenimage des Kleinstadtidylls mit Alpenpanorama trübt. Gerade die Anziehungskraft aber stellt die Lokalpolitik vor Herausforderungen: Holzkirchen ist so beliebt, dass Familien, die aus München vor hohen Mieten fliehen und von einem der schmucken Eigenheime im Grünen träumen, Probleme haben, bezahlbare Grundstücke zu finden.

Gentrifizierung auf dem Lande, die nicht nur junge Familien trifft, sondern all jene, die dringend auf günstigen Wohnraum angewiesen sind: Auszubildende, Studierende, Geringverdienende und eben Flüchtlinge. Die verkehrsgünstige Lage ist für Holzkirchen Fluch und Segen zugleich. Einerseits profitieren die Unternehmen und die Pendler*innen von der guten Anbindung, andererseits leidet die Gemeinde an der hohen Belastung durch den Autoverkehr. Gerade am Wochenende ist die Münchener Straße, die Hauptverkehrsader des Ortes, vorwiegend Entlastungsstrecke für die naheliegende Autobahn 8, auf der sich dann die Blechkarawane ihren Weg gen Tegernsee und Alpen bahnt.

Schickeria-Persiflage und Wachstumsdruck

taz.meinland wollte deshalb wissen: Wie empfinden die Holzkirchener*innen den Wandel ihres Ortes? Welche Sorgen haben sie und was kann getan werden gegen die Wohnungsnot und den drohenden Verkehrskollaps? In urigem Ambiente und mit einer gehörigen Portion bayrischer Gemütlichkeit diskutierte taz-Redakteur Andreas Rüttenauer im Papst Oberbräu zwischen Kamin, Hefeweizen und holzvertäfelten Wänden gemeinsam mit 35 Interessierten und fünf Gästen über die Zukunft der Marktgemeinde.

Manfred Zick, der in Holzkirchen wegen seines markanten Instrumentes als Zither-Manä bekannt ist, eröffnet den Abend mit einem Lied über den Tegernsee. Lago di Bonzo heißt es, Schickeria-Persiflage und zugleich Ode an seine Heimat – das kommt gut an im Saal. CSU-Bürgermeister Olaf von Löwis nutzt die gelöste Stimmung, um auf das Stadtjubiläum hinzuweisen und darauf, worauf man stolz ist in Holzkirchen. 

Auf die erste Frage, ob Holzkirchen ein Ende des Wachstums brauche, antwortet Karl Bär, Gemeinderatsmitglied und Bundestagskandidat für Bündnis 90/Die Grünen, dass es durchaus sinnvoll sei, über die Grenzen des Wachstums zu reden. Nicht zuletzt die Kultur würde unter dem Wachstumsdruck leiden, da die letzten Freiflächen für Wohnungen benötigt würden und die Preise für Grund und Boden schlicht zu hoch seien.

Ein Problem von Angebot und Nachfrage

Wie sich eine Gemeinde durch rasches Wachstum verändert, lässt sich in Markt Schwaben beobachten. Der Ort erlebte seit den Olympischen Spielen 1972 und mit dem Bau des neuen Flughafens in München einen starken Zuzug aus der Landeshauptstadt. Auch hier stiegen infolgedessen die Grundstückspreise: „Eine Eignungswohnung, die vor zwei Jahren für knapp 350.000 Euro zu haben war, kostet mittlerweile mindestens 60.000 bis 70.000 Euro mehr.“, berichtet taz-Panterpreisträgerin und Anwohnerin Bettina Ismair.

Was macht die Lokalpolitik gegen die steigende Nachfrage und den Wohnungsmangel im Ort? Bürgermeister Löwis versichert, dass sich die Stadt bemühe, der Nachfrage Herr zu werden und neuen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zudem sollen manche der stadteigenen Grundstücke für 350-650 Euro/qm² und damit unter dem üblichen Marktwert verkauft werden. Allerdings kämen auf acht Angebote 150 Bewerber*innen, allein aus Holzkirchen. „Wir haben schlichtweg ein Angebot-Nachfrage-Problem“, konstatiert der Bürgermeister.

„Die Flüchtlinge haben die Lage nochmal verschärft, gerade was den sozialen Wohnungsbau angeht“, ergänzt Franz Lutje, der sich als ehemaliger Integrationsbeauftragter dafür einsetzt, dass Geflüchtete in den hiesigen Arbeitsmarkt integriert werden. Dennoch, und da ist man sich parteiübergreifend einig, funktioniert die Integration in Holzkirchen. Anders als in anderen Regionen, gäbe es hier kaum Übergriffe auf Flüchtlinge, die Bevölkerung sei zudem sehr offen und engagiert.

Bayrische Willkommenskultur

Das liege auch daran, dass es aufgrund der internationalen Unternehmen traditionell viele ausländische Mitbürger*innen in Holzkirchen gibt. Auf den Einwand von Sandra Freudenberg aus dem Publikum, dass es bei Berichten um die Traglufthalle, die zur Unterbringung der Flüchtlinge gebaut wurde, auch viele „kritische“ Stimmen gegeben habe, reagiert Löwis gelassen: „So nehme ich das nicht wahr.“ Die Gemeinde habe frühzeitig versucht, Sorgen von Bürger*innen ernst zu nehmen und mit ihnen einen Dialog zu führen. 

„Wenn alles so positiv läuft, warum hetzt man denn auf Landesebene so auf die Flüchtlinge?“, fragt Jakob Koch von der Grünen Jugend in Bad Tölz-Wolfratshausen. Auch hier versucht der CSU-Bürgermeister zu beschwichtigen: „Nicht jeder der ein Parteibuch hat, muss die Politik von Horst Seehofer verteidigen. Auch ich bin nicht mit allem einverstanden.“

Am Ende des Gesprächs geht  es nochmal um die Wohnungspolitik. Koch beschäftigt vor allem die Bleibeperspektive von jungen Leuten im Landkreis, die sich die hohen Mieten nicht leisten könnten oder gar nicht in den Genuss kämen, überhaupt eine Wohnung zu beziehen. Den Diskutierenden fällt es schwer, ein Konzept vorzulegen. Zwar kursieren Ideen, wie der Bau eines Wohnheims für Studierende und Auszubildende, wirklich ausgereift scheinen die Pläne nicht. Nur eines ist klar und da sind sich Diskussionsrunde und Publikum ein weiteres Mal einig: Ohne Verdichtung und mehrstöckigem Bauen wird es wohl nicht gehen.

Harmonie statt Streit

Bär bringt es auf den Punkt: „Vielleicht müssen sich die Holzkirchener daran gewöhnen, nicht nebeneinander, sondern übereinander zu wohnen.“ Als zum Schluss die Verkehrsproblematik aufkommt, stellt Bär die Pläne für eine Umgehungsstraße vor, mit deren Umsetzung die Ortsmitte verkehrsberuhigt wäre. Green City in Oberbayern. Alles schon in Sack und Tüten. Der Bürgermeister ist zufrieden und, wie sollte es anders sein, vollkommen d’accord mit den Plänen seines grünen Kollegen.

Damit endet der Abend so harmonisch, wie er begonnen hat. Streiten wollte niemand so richtig, aber wer will das schon, hier im vermeintlichen, voralpinen Paradies. Dafür war es einfach zu gemütlich mit Kalbsrahmgulasch und Hefeweizen auf dem Tisch. Flüchtlinge und die Erzieherin, die in Holzkirchen keine Wohnung mehr findet, saßen übrigens nicht im Publikum. Übrig geblieben ist die versammelte Einigkeit derjenigen, die sich Holzkirchen leisten können. Noch.

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