: NEULICH... Vor dem Video steht der Schweiß
Wild fliegen die Schweißperlen von meiner Stirn, glasig treten die Augen aus den Höhlen hervor. Es droht mich zu übermächtigen: dieses dumpfe, sich keiner Form des Wutausbruches entblödende Entsetzen solcher Augenblicke, in denen ich merke, daß die Welt nicht so funktioniert, wie ich es will.
Mordeslust. Das ist es. Doch wie mordet frau einen Videorecorder?
Die besänftigenden Worte meiner Freundin versuchen, das Teil davor zu bewahren, quer durch die Wohnung zu fliegen. In wirren Fetzen rasen die Gedanken durch meinen den Kopf: Was könnte ich ihm bloß antun? Den Stecker herausziehen, ihm langsam und genüßlich den Lebenssaft herauspressen! Teufel noch, welches Kabel in diesem Strippengewirr ist überhaupt das Netzkabel?! Und habe ich nicht eineinhalb Stunden gebraucht, um die im sanftschimmernden LCD-Grün gehaltene Zeitangabe an dem Ding einzustellen — das wär' ja dann futsch! Kommt also nicht in Frage.
Nicht, daß bisher auch nur im Entferntesten daran zu denken wäre, sich mal 'n Video anzugucken. „Auf der gaaanzen, weiten Welt“, hatte der Typ aus der Videothek gestöhnt, „da is' der Kanal 36 für Video freigehalten. Nur in Bremen nicht...“
Stimmt, mir flimmert da RTL entgegen, und weil sich da der Video und RTL irgendwo tief drinnen im Gehäuse um den Kanal 36 streiten, kann ich beides nicht gucken. Da ist es nur ein geringer Trost, daß es Menschen wie mich auch in Neuhofen-Sonning, Ulm und Heidelberg gibt, wo auf dem Kanal 36 seit ein paar Jahren auch was anderes flimmert. Und so greifen die Menschen in Neuhofen-Sonning, Ulm und Heidelberg genau wie ich zum Schraubenzieher — um an einer mikroskopisch kleinen Schraube mit einem ebenso mikroskopisch kleinen Schraubenzieher mit unendlichem Zartgefühl allerkleinste Drehungen zu vollführen, auf daß der Video auf einem anderen Kanal erscheine. „Ganz einfach“, versicherte mir der Videoladentyp. Als sämtliche Kanäle inlusive Videokanal gestört sind, gebe ich für diesen Tag auf.
Die Geschichte mit der Programmierung habe ich noch vor mir. Vier Wochen Urlaub im nächsten Jahr sind schon beantragt. Und es war nicht ganz einfach, das mit den Terminen der therapeutischen Selbsthilfegruppe „Ich und mein neuer Videorekorder“ abzustimmen, wegen der langen Wartezeiten. Na ja, bis dahin begnüge ich mich mit dem Ton, das geht nämlich ganz gut, wenn ich den Rekorder auf Testbild schalte. Und das Leben will mir ja auch was sagen mit sowas. Bloß was? Susanne Kaiser
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