: Glückloser Versuch
■ „Die Großen vom Gendarmenmarkt“
Der Titel klingt nach „Es war einmal“-Geschichten, ein bißchen auch nach der Verehrung verstaubter Helden. Man erwartet, nach der Lektüre den Gendarmenmarkt anders wahrzunehmen: auf Schritt und Tritt müßte dann Geschichte spürbar werden, Erinnerung und Anekdote gegenwärtig sein. So könnte dann auch die Gegenwart plötzlich anders aussehen. Um es gleich zu sagen: diese Erwartungen werden enttäuscht.
Peter Auer stellt 17 berühmte Männer vor, die, wie er meint, die Geschichte des Platzes bestimmten. Er beginnt mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und endet mit Gustaf Gründgens. Dazwischen Knobelsdorff, Gontard, Iffland, Humboldt, E.T.A. Hoffmann, Friedrich Tieck, Schinkel, Menzel, Fontane. Weltliche Machthaber, Schauspieler, Baumeister, Bildhauer, Dichter, Maler und Musiker. Sie alle trugen zur Gestaltung und zum Ruhm eines der „schönsten Plätze der Welt“ bei – so Peter Auer.
Seinen Namen verdankt der Platz dem Soldatenkönig: Friedrich WilhelmI. läßt den Deutschen Dom von einem Kasernengeviert für seine gens d'armes ummauern. Die Gläubigen müssen auf dem Weg zur Kirche die Stallungen durchqueren, in denen die kranken Pferde stehen und „crepieren“. 34 Jahre später beschließt FriedrichII., die Bauten schleifen zu lassen, ein Jahr danach setzt sich Carl von Gontard mit seinem Vorschlag durch, zwei Kuppeltürme mit kreuzförmigen Unterbauten vor die Kirche zu setzen, ohne die seit einem halben Jahrhundert bestehenden Gotteshäuser zu verändern. Seit dem 26.Mai 1826 hat der Platz sein heutiges Gesicht, mit Goethes „Iphigenie“ wurde das von Schinkel entworfene Schauspielhaus festlich eröffnet.
Schinkels Architektur fand mehr Anhänger als der zuvor abgebrannte Bau, der im Volksmund nur „der Koffer“ genannt wurde. Wer am Ende weiß, wie der Gendarmenmarkt entstanden ist, hat in jedem Fall ein Stück harter Arbeit hinter sich – die Lektüre der „Großen vom Gendarmenmarkt“ ist kein Vergnügen. Peter Auer unternimmt den verzweifelten Versuch, ein zweiter Sternheim zu werden. Seine glücklosen Versuche in Telegrammstil, Ellipse und Inversion verursachen selbst hartnäckigen LeserInnen Kopfschmerzen. Der Beginn des Kapitels über August Wilhelm Iffland gibt ein besonders zermürbendes Beispiel Auerscher Prosa. Ohne daß die LeserInnen ahnen, worauf der Autor hinauswill, geht ein Hagel undurchsichtiger Fragen auf sie nieder: „Ob sie es wissen – Sekundaner, Primaner? Die sich an den Klassikern voller Mühsal – wiederwillig? – abrackern? Ob sie es wissen – die mit dem Abo immer dienstags, Klassik – im Parkett? Kabale und Liebe. Von Friedrich Schiller. Ja und?“ Es folgen weitere Satzfragmente und rhetorische Fragen. Was der Autor sagen will, erschließt sich erst auf den folgenden Seiten.
In seinen besten Sätzen schreibt Auer biederen Boulevardjournalismus, in seinen schlechtesten ist er schlicht unlesbar. Auer vergibt Etikett, Note und Schublade für jeden der von ihm zu den „Großen von Gendarmenmarkt“ Erhobenen. Ludwig Tieck wird als selbstgefälliger Geck, Friedrich Tieck als schweigsamer Grübler apostrophiert; Fontane sei „ehrlich, redlich“ gewesen, habe als ein „Ehrlicher gegen die Unehrlichen“ gestanden, und der Maler Adolph Menzel wird in Text und Kapitelüberschrift herablassend ein „Zwerg“ genannt. Knobelsdorff ist ein „Fels“, der auf dem Totenbett birst (!), Hauptmann ein „Querkopf“, und was Auer für Gründgens parat hat, steht schon in Klaus Manns „Mephisto“. Lebendig aber wird keiner dieser „Großen“. Marion Löhndorf
Peter Auer: „Die Großen vom Gendarmenmarkt“, Diederichs Verlag, München 1992, 208 Seiten.
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