: „Laßt die Hände von der Pfarrstraße“
■ ABM-Projekt für rechtsorientierte Jugendliche hat Angst vor Anschlag im Anschluß an die heutige Autonomen-Demo
Lichtenberg. „Ich habe die Bitte, am Samstag die Hände von diesem Haus zu lassen.“ Eindringlich appellierte gestern Pfarrer Wolfram Hülsemann (49) vom Verein „Sozial-Diakonische-Jugendarbeit“ an die Teilnehmer der heute stattfindenden autonomen Großdemonstration, das ABM- Projekt in der Pfarrstraße im Ost- Berliner Bezirk Lichtenberg nicht anzugreifen. „Wir sind ein wehrloses Projekt und werden keine Abwehrmaßnahmen vorbereiten“, so Hülsemann auf einer Pressekonferenz.
Seit zwei Jahren läuft in der Pfarrstraße ein Modellprojekt mit 20 überwiegend gewaltbereiten und rechtsorientierten Jugendlichen, die mit ABM-Geldern das Haus instand setzen. Ende Januar sollen dort 12 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren wohnen und betreut werden. Gedacht ist außerdem an eine Beratungsstelle, die den Jugendlichen aus dem Bezirk in Krisensituationen hilft.
Seit Beginn des Projekts gibt es Konflikte mit linken Hausbesetzern, die ebenfalls in der Pfarrstraße wohnen.
Erst am vergangenen Wochenende war der Leiter des Projekts, Michael Heinisch (28), in einem Kreuzberger Veranstaltungsort von Autonomen zusammengeschlagen worden (die taz berichtete). Einen der Schläger hatte Heinisch als Besetzer aus der Pfarrstraße identifiziert. Gestern versuchten die Verantwortlichen nun, die Wogen zu glätten und die Arbeit des Projekts zu erläutern. Anwesend war auch eine Gruppe von Hausbesetzern, die von der Pressekonferenz erfahren hatte. Ihr Vorwurf an die Verantwortlichen: rechte Jugendliche aus dem Projekt seien mehrmals handgreiflich gegen sie vorgegangen.
Pfarrer Hülsemann betonte, daß es nicht um ein Projekt von „Rechten für Rechte“ gehe. Vielmehr werde versucht, Jugendlichen neue Orientierungen zu bieten. Er räumte ein, daß dabei in der Vergangenheit auch Fehler unterlaufen seien. Die Grenzen der Zusammenarbeit müßten immer wieder in Gesprächen neu ausgelotet werden: „Da ist ein Ermessensspielraum, das kann man nicht im Reagenzglas feststellen“. Für die Mitarbeit in dem Projekt gebe es jedoch klare Regeln: „Wer sich politisch in rechten Gruppen organisiert – von dem müssen wir uns trennen.“ Heinisch, der nach dem Bezug des Hauses das Projekt weiter betreuen wird, erklärte, daß bisher drei Jugendliche ausgeschlossen worden seien, die sich offen zur rechtsextremen „Nationalen Alternative“ (NA) bekannten.
Am 24.November war der ebenfalls in Lichtenberg ansässige Jugendclub „Judith-Auer“ Opfer eines Anschlags von Autonomen geworden. Ein Teil der Inneneinrichtung brannte völlig aus. Der Club galt in der linken Szene als Treffpunkt von Skinheads und Neonazi-Führern. Kurz nach den Pogromen von Rostock war das Jugendprojekt „Wurzel“ in Marzahn, in dem rechte Jugendliche betreut wurden, von Linken in Brand gesetzt worden. Severin Weiland
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