: Schlüsselfall Stolpe
■ Zwei Bücher zum Endlos-Thema: IM „Sekretär“
„Nicht hilfreich“, „bedauerlich“ oder einfach „verwunderlich“: Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) kann mit einer ganzen Reihe von Adjektiven aufwarten, wenn es gilt, die gegen ihn erhobenen Stasi-Beschuldigungen zu widerlegen. „Nichts Aufregendes“, meinte auch Stolpes Regierungssprecher Erhard Thoma, als der Berliner Korrespondent der FAZ, Ralf Georg Reuth, im Frühsommer sein Buch „IM Sekretär – Die Gauck-Recherche und die Dokumente zum Fall Stolpe“ vorstellte. Herr Thoma irrt. Auf mehr als 200 Seiten zeichnet Reuth detailliert die Chronik zum Fall des „IM Sekretär“ nach, jenes Inoffiziellen Mitarbeiters des Staatssicherheitsdienstes, der Manfred Stolpe nicht gewesen sein will.
Der frühere Konsistorialpräsident, seit Januar wegen seiner vielfältigen Kontakte zum Machtapparat der DDR im Kreuzfeuer der Kritik, ließ wegen der Buchpräsentation eigens eine Presseerklärung verbreiten: „Verwunderlich ist außerdem, daß Herr Reuth in keiner Weise die bisherigen Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtages berücksichtigt. Aber vielleicht will Herr Reuth noch an einem zweiten Buch über die DDR-Vergangenheit arbeiten und verdienen.“ Manfred Stolpe hat fast recht behalten. Ein zweites Buch zum Thema hat Reuth zwar nicht vorgestellt – er hat seinen Report zum „IM Sekretär“ aber im September in einer zweiten Auflage mit neuen Unterlagen aktualisiert.
„IM Sekretär“ ist gegenwärtig der spektakulärste Fall, in dem anhand der Stasi-Hinterlassenschaften einem prominenten Politiker eine Zuarbeit zu Mielkes Spitzelministerium vorgeworfen wird. Der Fall wurde zum Schlüsselfall, an dem sich der weitere Verlauf der Vergangenheitsaufarbeitung entscheiden wird. Stolpe wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, über Jahrzehnte „nach den Maßstäben des MfS ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter“ gewesen zu sein, wie es die Gauck-Behörde in einem Recherche-Bericht für den Potsdamer Untersuchungsausschuß feststellte. Die dieser Aussage widersprechenden Stasi-Akten hat der Ministerpräsident in ihrer Glaubwürdigkeit angezweifelt. Gestützt werden diese Zweifel durch die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der Stasi-Kirchenabteilung XX/4, die Stolpe regelwidrig als IM registriert haben wollen. Die Aussagen dieser Stasi-Offiziere sind mit Vorsicht zu genießen– sie waren es, die noch zu Zeiten der DDR Stolpe aktenmäßig erfaßten. Sie waren es auch, die unmittelbar nach der Wende massenhaft die Vernichtung von Akten in Gang setzten. So geschehen mit der Hauptakte über IM „Sekretär“.
Reuth hat nun einen Teil der Dokumente zusammengetragen, die trotz Aktenvernichtung in den Archiven der Gauck-Behörde aufgefunden wurden und die dem Potsdamer Untersuchungsausschuß als Anhang zu den Recherche-Berichten zugegangen sind. In der Auseinandersetzung um den IM „Sekretär“, die zunehmend den Charakter eines Glaubensbekenntnisses für oder gegen ihn annimmt, sind sie eine hilfreiche Handreichung für jeden, der sich der Mühe unterziehen will, ein eigenes Urteil zu bilden.
Originaldokumente der Stasi- Kirchenabteilung XX/4 haben auch die BürgerrechtlerInnen Tina Krone, Reinhard Schult und Erhart Neubert in einer Broschüre unter dem Titel „Seid untertan der Obrigkeit“ herausgegeben. Unterstützt vom Arbeitsausschuß des Neuen Forum Berlin und der Robert-Havemann-Gesellschaft verlegen sie Dokumente, die sich unter anderem mit der Stasi-Tätigkeit der Kirchenmänner beschäftigen, die Manfred Stolpe im Mai dieses Jahres als Mitstreiter seiner „kirchlichen Gegenkonspiration“ anführte. Deren Vorstellung erwies sich als Flop, hatten sie doch entweder selbst der Stasi zugearbeitet oder wußten kaum etwas über Stolpes Stasi-Kontakte. Veröffentlicht werden in dem Band auch Akten über die Inoffizielle Stasi- Mitarbeiterin „Micha“, die in Mielkes Auftrag unter den Kirchenmännern Sex-Parties veranstaltete. Etliche Namen sind in den Unterlagen von den Herausgebern geschwärzt worden, darunter auch der Manfred Stolpes.
Die Publikation soll die Kirche zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit zwingen. „Die Kirche hatte drei Jahre Zeit, ihre Zusammenarbeit mit der Macht darzustellen“, schreiben die Herausgeber, „und nicht erst dann zu reagieren, wenn mal der eine, mal der andere Pfarrer oder sonstige Kirchenfunktionär durch die Akteneinsicht von Stasi-Opfern oder durch Recherchen von Journalisten enttarnt wird.“ Wolfgang Gast
Ralf Georg Reuth: „IM Sekretär“. Ullstein 1992, 19,80 DM
„Seid untertan der Obrigkeit“. Hrsg.: Tina Krone, Reinhard Schult, Erhart Neubert; erschienen im Selbstverlag; zu beziehen über das Neue Forum Berlin, Friedrichstraße 165, 1086 Berlin; 15 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen