: „Da bleibt einem nur noch die Kugel“
Der Staatsanwalt des palermitanischen „Maxi“-Prozesses, Domenico Signorino, hat sich umgebracht/ Dunkle Anschwärzungen durch Aussteiger oder Erpressung als Motiv? ■ Aus Palermo Werner Raith
„Wenn dir so etwas passiert“, sagte Domenico Signorino, 48, vor einem knappen Monat zur taz, „dann kannst nur noch den Strick nehmen.“ Signorinos Mitgefühl galt einem Kollegen, der ihm bislang eher übel mitgespielt hatte: dem Bundesrichter Corrado Carnevale. Dieser hatte sich dadurch hervorgetan, daß er Urteilen gegen Mafiosi und Rechtsterroristen, Mitglieder illegaler Logen und andere Dunkelmänner reihenweise annullierte. Von einem der neuerdings zahlreichen Mafia-Aussteiger („pentito“) wurde Carnevale massiver Korruption und Kungelei mit Cosa-Nostra-Emissären beschuldigt und mußte daraufhin sein Amt quittieren.
Immer wieder hatte Carnevale auch Urteile, die Signorino als einer der eifrigsten Mafia-Verfolger in den untersten Instanzen durchgesetzt hatte, annulliert. Doch Signorino wußte, wovon er sprach; und nun, als es ihn selbst erwischte, hat er sehr konsequent das getan, was er in diesem Falle als einzige Lösung ansah: Er schoß sich am Donnerstag vormittag eine Kugel durch den Kopf.
Schon seit Wochen waren in Palermo Gerüchte umgelaufen, ein „pentito“ habe die Verbindungen von zwei Staatsanwälten und zwei Richtern zur Cosa Nostra enthüllt. Am Montag war in der Parteizeitung der Linksdemokraten dazu nur ein Name genannt worden – der Signorinos. Das Entsetzen in Palermo ist groß – gerade weil niemand die Verzweiflungstat so recht zu deuten vermag. Ein kurzer Abschiedsgruß an seine Frau mit der Bitte, ihm die Tat zu verzeihen und der Versicherung, er sei unschuldig, ist alles, was er hinterlassen hat.
„Klima der Hexenjagd“
Vor dem Haus stehen weinende Frauen und Männer, am Baum vor der Wohnung des vor einem halben Jahr ermordeten Giovanni Falcone – der zum Symbol des Widerstands gegen die Mafia wurde – hängt ein Bild Signorinos mit der Frage „perche“, warum?
„Um Himmels willen“, entsetzte sich der Sohn des 1982 ermordeten Antimafia-Präfekten dalla Chiesa, Nando, der für die antimafiose Gruppierung „La Rete“ im Parlament sitzt, „wenn die Mafia einen auf diese Weise legen will, verteidigt man sich doch und bringt sich nicht um.“ Staatspräsident Scalfaro sprach von „einer Tragödie“, der Innenminister von einem „Klima der Hexenjagd“. Die Sozialisten des durch Korruptionsskandale schwer angeschlagenen Bettino Craxi suchen den Suizid eilends zu nutzen, um die in Oberitalien reihenweise auspackenden Schmiergeldzahler als potentielle Selbstmordauslöser darzustellen.
Dagegen zählt die in Mailand erscheinende konservative Tageszeitung il Giornale zwar auf, wer sich in derlei Umständen schon umgebracht hat (in Palermo alleine letzte Woche ein Unternehmer und ein Rechtsanwalt, in Oberitalien im vergangenen Halbjahr vier Politiker). Doch das Blatt sieht auch „diesen Blutzoll als nicht zu hoch an, wenn es darum geht, unser total versumpftes politisches und juristisches System zu reinigen“. Sind Selbstmorde also Schuldeingeständnisse, hat Signorino die Enthüllung der Wahrheit gefürchtet?
So einfach liegen die Dinge sicher nicht. Wenn jemand wußte, was die Aussagen von „pentiti“ bedeuten können, dann Signorino. „Du mußt dir vorstellen“, sagte er der taz vor vierzehn Tagen, „daß diese Leute zwar zum Zerschlagen der Mafia-Banden unerläßlich sind, aber genauso kann die Mafia uns mit ihrer Hilfe zerschlagen.“ Daher sein Mitgefühl für den Oberrichter Carnevale: wer von einem „pentito“ zitiert wird, hat ausgespielt, jedenfalls im Ambiente der Justiz.
Die Wirkung des Gerüchts
Vollkommen verstört hatte Signorino denn auch die offenbar gezielte Indiskretion der Zeitungen kommentiert: „Was soll man denn machen, um sich gegen so etwas zu verteidigen? Sich umbringen? Ich denke, für mich spricht eine zwanzigjährige Tätigkeit als Staatsanwalt.“ Gegen ihn sprach, zumindest bei der Mafia, daß er in den nächsten Tagen formell – de facto war er es schon – zum stellvertretenden Leiter der neu eingerichteten Super-Generalstaatsanwaltschaft zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen in ganz Italien ernannt werden sollte.
In mehr als vierhundert Einzelverfahren hatte Signorino die Anklage vertreten. Im sogenannten „Maxi-Prozeß“ von Palermo 1986/87 hatte er zusammen mit seinem Kollegen Giuseppe Ayala 19 Lebenslänglich und mehr als viereinhalbtausend Jahre Gefängnis gegen 350 der 465 Angeklagten durchgesetzt.
Doch gerade an seinem Kollegen Ayala konnte Signorino ermessen, mit welcher Infamie und persönlichkeitszerstörenden Mitteln die Feinde arbeiten. Um den erfolgreichen Antimafia-Pool des Untersuchungsrichters Giovanni Falcone zu zerschlagen, suchte man sich Ayala aus – an Falcone kam man damals ebensowenig heran wie an Signorino.
Ein möglicherweise aus dem Pool selbst stammender Insider verschickte anonyme Briefe an den Obersten Richterrat und an den Ministerpräsidenten, an Zeitungen und Fernsehsender, kurz danach kam auch das Gerücht auf, „pentiti“ hätten sich entsprechend geäußert.
Falcone habe mit den Mafia- Aussteigern allzu enge Freundschaft geschlossen, hieß es da. Und Ayala sei ein hemmungsloser Spieler, der mehrere Millionen Mark Schulden vor sich herschiebe, aus dubiosen Banken Sonderkredite erhalte und sich überdies mit Mafiabossen gezeigt habe.
Die ganze Geschichte erwies sich als unwahr. Falcones Kollegen sprachen ihm gewissermaßen ihr Vertrauen aus, Ayala aber wurde aus Palermo wegversetzt – vom Obersten Richterrat. „Alles habe ich mir erwartet“, so Ayala damals, „auch daß sie mich umbringen, nur das nicht, daß meine eigenen Kollegen mich so fertigmachen.“ Der Antimafia-Pool zerbrach: Falcone wurde kurze Zeit stellvertretender Generalstaatsanwalt, dann wechselte er ins Justizministerium als Abteilungsleiter für Strafrecht über – und wurde im Mai 1992 von einer Autobombe zerfetzt. Sein Amt übernahm Paolo Borsellino. Auch er war ehemaliges „Pool“- Mitglied, und auch er wurde wenige Wochen später Opfer eines Sprengstoffanschlages.
Sein sein Nachfolger war Domenico Signorino. Und dem war gewiß, daß diese Affäre sein Ende einleiten würde, sein berufliches wie sein physisches: „Die Mafia erpreßt einen nicht nur in der Form: ,Tu das, sonst passiert dir oder deiner Frau etwas‘“, sagte Paolo Borsellino am Tag nach der Ermordung Giovanni Falcones, „sie erpreßt einen auch durch das System ,terra bruciata‘“ – die totale Einengung des Handlungsspielraums durch Gerüchte, Verdächtigungen, täglich neue Erniedrigungen.
„Insofern starb Giovanni Falcone nicht gestern, sondern er begann vor eineinhalb Jahren zu sterben. Dann nämlich, als er erkannte, daß die anonymen Briefe und die gestreuten Gerüchte ihn isolieren würden. Da wußte er, daß seine körperliche Eliminierung nur noch eine Frage der Zeit war.“
Möglicherweise war es genau das, was Signorino vor sich sah und was er durch seinen Freitod vermeiden wollte.
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