■ Kommentar: Vereinigungssaboteure
Man muß froh sein um jede Grenze, die fällt – auch die zwischen Berlin und Brandenburg. Bislang aber sind nur winzige Schritte getan, die meisten Probleme noch ungelöst; die Verhandlungsführer wissen das, trotz oder gerade wegen ihrer großen Worte. Der Weg zu einem Vertrag ist zwangsläufig mit vielen solchen demonstrativ lauten Ja begleitet, um damit die vielen leisen Nein zu übertönen. Doch um Zukunft zu gestalten, benötigt es den weiten Blick über den Aktendeckel hinaus, auch wenn man leicht als Traumtänzer abgetan wird von jenen, die maximale Beharrung zur politischen Kunst erheben. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Bemühungen um einen Zusammenschluß. Zur Politik braucht es die Vision, zum Scheitern braucht es nur Kleinigkeiten.
Soll die Gemeinschaft Berlin-Brandenburg lebensfähig sein, sind viele sinnlich erfahrbare Konkretionen nötig. Um die Zustimmung der Menschen zu gewinnen, müssen die Ängste gegenüber einem Stadtmoloch ausgeräumt werden, der wie ein schwarzes Loch alles aufsaugt. Es muß zugleich dafür gesorgt sein, daß auch das platte Land einen gerechten Anteil am Wohlstand erhält. Einen gemeinsamen Verkehrsverbund und eine koordinierte Industrieansiedlungspolitik rund um Berlin zu schaffen sind deswegen noch die geringsten Übungen. Die entscheidenden Hürden aber liegen woanders; sie finden sich trotz der von brandenburgischer Seite regelmäßig laut vorgetragenen Bedenken gegen eine Fusion auf Berliner Seite: sie sind begründet im Beharrungsvermögen der Westberliner politischen Klasse. Diese ist in Jahrzehnten eines geschlossenen Horizonts zu einem beispiellosen Gesamtkunstwerk gegenseitiger Verschränkung gewachsen, die jegliche innovative Veränderung ausbremst. Ihre Protagonisten ahnen, in welch dramatischer Weise eine Ländervereinigung ihr den Teppich unter den Füßen wegziehen wird. Von dieser Kaste der öffentlichen Bediensteten, der Gewerkschaften und der mit der Verwaltung verwobenen Interessenverbände und Lobbyisten wird ebenso hinhaltender wie erbitterter Widerstand kommen, wird um den Erhalt von Pfründen, Einfluß und Besoldungsstufen gestritten werden. Mancher mag gegenwärtig noch skeptisch sein ob der Vorteile einer Fusion der Bundesländer. Für die Stadt aber hätte sich das gemeinsame Land bereits dann ausgezahlt, wenn bei dem dann entstehenden Durchzug die verfilzte Wohllebens-Gemeinschaft zerstäubt. Gerd Nowakowski
Siehe auch Seiten 22 und 23
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