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■ Zur Forderung nach einem neuen RadikalenerlaßGesetzgeberischer Aktionismus

Die Bonner Politiker überbieten sich gegenwärtig fraktionsübergreifend darin, Gesetzesverschärfungen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vorzuschlagen. Innenminister Rudolf Seiters (CDU) fordert, den Neonazis die bürgerlichen Rechte abzuerkennen, die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will Nazi-Bands wegen des Aufrufs zu Mord verfolgen lassen, und der SPD-Wehrexperte Erwin Horn möchte 70.000 Soldaten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus an den Bundesgrenzschutz abkommandieren. Parteiübergreifend ist auch die neueste Forderung, den Rechtsradikalen mittels einer Neuauflage des Radikalenerlasses den Zugang zum Öffentlichen Dienst zu verwehren. Die Bonner Politiker wollen ein hartes Durchgreifen signalisieren. Allzu leichtfertig wird dabei behauptet, daß der Staat in den 70er und 80er Jahren auch mit der terroristischen Bedrohung durch die RAF fertig geworden sei. So falsch der Vergleich zwischen RAF-Terrorismus und heutigem Rechtsextremismus ist, so falsch sind auch die Signale, die nun ausgesendet werden.

Um gegen den neu erstarkten Neonazismus vorzugehen, reicht das bestehende Rechtsinstrumentarium vollkommen aus. Gruppen, die Molotow-Cocktails in Flüchtlingsheime werfen, können als terroristische Vereinigung und Einzeltäter wegen Mordversuchs verfolgt werden. Man muß es nur wollen. Daß dies geht, hat sich bei den Morden in Mölln gezeigt, als die Strafverfolgungsbehörden endlich aufwachten. Aufstachelung zum Rassenhaß, Gewaltverherrlichung, Verwendung nationalsozialistischer Symbole – all dies ist nach der geltenden Rechtslage strafbar. Statt jetzt Gesetzesverschärfungen zu fordern, sollte erst einmal das bereits bestehende Instrumentarium angewandt werden. Der gesetzgeberische Aktionismus soll verbergen, daß man lange, viel zu lange dem Treiben der Neonazis tatenlos zugeschaut hat.

Ein Gesinnungs-TÜV aber ist einer der untauglichsten Versuche, den politischen Extremismus zu bekämpfen. Es ist der Rückfall in eine Haltung, die die Einstellungen und nicht die konkreten Taten Einzelner oder von Personengruppen bestrafen und bekämpfen will. Damit wird einer der elemantaren Pfeiler des Rechtsstaates ausgehebelt. Zudem ist eine Entscheidung, wer als rechter Verfassungsfeind anzusehen ist, immer politischen Opportunitäten unterworfen. Erinnert sei nur an die CSU, die ursprünglich am vehementesten eine Überwachung der „Republikaner“ als verfassungsfeindliche Organisation verlangte. Diese Forderung wurde schlagartig fallengelassen, als Schönhubers Gefolgschaft in Bayern so stark wurde, daß sie auf kommunaler Ebene für den Machterhalt der CSU notwendiger Koalitionspartner zu werden drohte. Wolfgang Gast

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