: Pflegemutter wurde geknebelt
■ 20 Monate auf Bewährung für den Vater, der seine Tochter aus Norwegen entführte
für den Vater, der seine Tochter aus Norwegen entführte
Man habe die Frau nur ruhigstellen wollen. Und das Messer sei nur zum Kürzen der Schnur hervorgeholt worden. Rund zweieinhalb Stunden erläuterten die beiden Angeklagten Thomas W. und Carsten D. gestern vor dem Hamburger Amtsgericht die näheren Umstände der Entführung der neunjährigen Linn, dem Höhepunkt eines deutsch-norwegischen Sorgerechts- Dramas. Sie wurden wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung zu 20 und 15 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Die Geschichte geht über viele Jahre zurück. Thomas W. und seine Frau Siw-Annette zogen 1982 zu Verwandten nach Norwegen, wo im Frühjahr '83 ihre Tochter Linn zur Welt kam. Das Ehepaar konnte sich nur schwer integrieren. Wegen Sprachschwierigkeiten, so Thomas W., habe er keine Arbeit gefunden und Alkohol getrunken. Als eine Arzthelferin per Zufall blaue Flecken bei dem Kind entdeckte, kam es zu einem Verfahren wegen Kindesmißhandlung. Linns Mutter — selber Norwegerin — wurde 1985 deswegen verurteilt, in nächst höherer Instanz aber wieder freigesprochen. Die norwegischen Behörden weigerten sich trotzdem, den Eltern das Sorgerecht zurückzugeben. Begründung: Linn lebe schon zu lange bei Pflegeeltern, da sei es für eine Rückführung zu spät.
Im Januar 1990, Linn sollte demnächst zur Schule kommen, hatte Thomas W. alle Hoffnung aufgegeben, sein Kind auf legalem Wege wiederzubekommen. Mit Hilfe seines Bruders und seines Freundes Carsten W. plante er die Entführung. Der Coup gelang. Die Tochter wurde in einem Mietwagen via Schweden nach Hamburg gebracht. Obwohl sie sie erst zehn Monate ihres Lebens gesehen hatte, sagte Linn, daß sie lieber bei ihren Eltern bleiben will. Das Vormundschaftsgericht der Hansestadt sprach den Eltern das Sorgerecht zu. Vorläufiges Happy End in Hamburg.
Doch für die norwegische Pflegemutter hatte der Vorfall im Januar 1990 schwerwiegende Folgen. Seit jenem Tag, an dem drei Männer in ihr Haus eindrangen — zwei von ihnen maskiert — und sie fesselten, knebelten und in der Waschküche einsperrten, mag sie in diesem Haus nicht mehr leben, sagte die aus Norwegen geladene Zeugin gestern vor Gericht. Auch eine schriftliche Entschuldigung von Thomas W., er habe sich nicht anders gegen die norwegische Bürokratie zu helfen gewußt, tröstete da nicht weiter. Die Zeugin lebt heute von ihrem Mann getrennt. Auch Thomas W. und Siw-Annette haben sich getrennt. Linn lebt bei der Mutter, die jetzt ein Buch über den Fall schreiben will. kaj/dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen