piwik no script img

Furore mit Findling

Busonis Oper „Die Brautwahl“ in der Staatsoper Unter den Linden  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer

Bravo, bravissimo. Der Erfolg war rauschend, und vor allem: Er ist endlich da. Pünktlich zwei Tage vor dem großen Festakt zum 250jährigen Jubiläum der Staatsoper Unter den Linden stand es einwandfrei fest: Daniel Barenboim ist für den Leumund der Lindenoper, was Lohengrin für die Ehre Elsas war: nämlich Rettung durch Illusion. Sein zweiter Streich als Chef des Hauses geriet rundherum zu einem tollen Hokuspokus nebst Kinozauber, mit Vollmond, Fuchs- und Froschgesicht, mit wandelnden Häusern, fliegendem Teppich sowie zwei Tenören, die buchstäblich in die Luft gingen. Sicherlich hätte sich da auch Bolle janz prächtig amüsiert.

Das Stück spielt original in Berlin, es handelt von Berliner Originalen. Die zwar leider größtenteils längst ausgestorben sind (wie z.B. der Kanzleirat und der Gespensterhoffmann und die Jungfernkranz-Jungfrau und die Münzjuden und überhaupt). Aber dafür ist ja jetzt Barenboim ein Berliner, und der Erfolg also quasi berlingemacht. Wofür zunächst die Masken-, Kostüm- und Bühnenbildner hoch zu loben sind; außerdem die Regie, die Dramaturgie und die Filmleute, welche die Produktion der Berliner Traum-Projektionen zu besorgen hatten, und, nicht zu vergessen: die Abendspielleitung, die darauf achtgab, daß die Altberliner Geschichte auch recht reibungslos gespenstisch-berlinerisch über die Bühne ging. Der Stoff stammt, wie gesagt, von E.T.A. Hoffmann, weshalb dem Team die Inszenierungsideen schier nicht ausgehen wollten: Da gab es die gelben Gamaschen des jungen Gecken zu sehen sowie das weiße Mieder und die rote Schleife am Busen der energischen Biedermeier-Maid. Weder mangelte es an knallgrünen Philisterfräcken noch an braunsamtenen Sehnsuchtsjacken für die hochempfindsame Künstlernatur. Da schwangen sich die Krähen aufs Dach, taten sich die Tapetenwände des gutbürgerlichen Wohnzimmers auf sowie sämtliche übrigen bekannten Zeichen des Übernatürlichen kund. Kurz und gut: Für beinahe drei ganze Stunden wurde gnadenlos die volle Ladung schwarzer Romantik ausgeteilt – knüppelhageldick und zaunpfahlweise.

Nebenbei: Man gab an diesem Abend eine ganz ungewöhnliche Oper. Und zwar „Die Brautwahl“ (nach Hoffmanns Erzählung aus den Serapionsbrüdern) von Ferruccio Busoni, sein zweites vollendetes Bühnenwerk, das, bereits bei der Uraufführung 1912 in Hamburg umstritten, vom Komponisten umgearbeitet, gekürzt, noch einmal aufgeführt und dann von der Mit- und Nachwelt rasch vergessen worden war. Meines Wissens ist die „Brautwahl“ nach langer Pause zum letzten Male aufgeführt worden beim Maggio Musicale in Florenz im Jahre 1966. Ein einsamer Findling also, mit dem die Lindenoper nun, neunzig Jahre nach der Uraufführung, Furore macht: eine absolute Rarität im Repertoire, außer Konkurrenz und ohne jede Vergleichsmöglichkeit eigens für diese Berliner Neuinszenierung abermals bearbeitet – nämlich um zwei Akthälften gekürzt, umgestellt, verschlankt und begradigt, was der verdiente Busoni-Forscher Anthony Beaumont (soweit sich das beurteilen läßt) sehr energisch und einfühlsam bewerkstelligt hat.

„Brautwahl“ ist eine Oper mit Haken und Ösen oder vielmehr, wie der Opernkritiker Oscar Bie bereits aus Anlaß der Uraufführung sehr schön gesagt hat: „kein Stück, von dem man sagen könnte, es ist gut oder es ist schlecht. Die erste Oper, die keine Vorzeichen hat!“ In der Musik selbst gibt es zwar Vorzeichen genug – reichlich chromatische Läufe, bei den lyrischen Liebesstellen ironisch entschwebend in tristaneske Entrückung und andererseits auch wieder von beinahe brucknerscher Wucht. Auch sonst finden sich eine Menge wilder Zeichen und Wunder. Geschickt eingemeindete Stilzitate oder aber ganz im Gegenteil frech abgesetzte, ausgestellte Stilparodien. Flächige Visionen und exotische Melodieornamente, lustige Zirkusmusik und schamlos schmalzige Malereien, glühende Italianita und deutscher Kontrapunkt. Ein Pasticcio, schwer und leicht zugleich. Von Szene zu Szene wechselt die Musik die Kleider, macht sich, wie ein Verwandlungskünstler, musik-dramatisch unsichtbar: als ginge es hier nicht um exaltierte Menschen, die ihre innersten Gefühle nach außen kehren, wie sonst in Opern üblich– sondern um ein apartes Puppenspiel, in dem Operngefühle nur imitiert werden sollen. Vieles ist so hinreißend künstlich, daß es wie echt wirkt – um so tiefer dann der Absturz ins nächstbeste Loch. Ein intellektuelles Vexierspiel mit Schattenriß und Schablone, so flach wie Pappe. Beim Umblättern rascheln dann die Seiten.

Ferruccio Busoni war ein altmodischer Mensch auf der Höhe seiner Zeit, der sich mit Grandezza zwischen alle ihm gebotenen Stühle gesetzt hat. Einerseits ein genialer Pianist, ein umschwärmter Lehrer und brillanter homme de lettres, wäre er andererseits doch viel lieber ein bedeutender Autor gewesen; seine musikästhetischen Schriften sind zwar längst zu Klassikern geworden – von seinem musikalischen ×uvre dagegen haben sich bloß die Bearbeitungen dauerhafte Anerkennung erworben. Und seine heißgeliebten Opern werden (abgesehen vom „Doktor Faustus“, und der selten genug) überhaupt nicht mehr aufgeführt. Weshalb man allgemein bequemerweise der pauschalen Ansicht ist, daß Busonis kreative Kraft eher im Kongenialen gelegen habe. An seiner „Brautwahl“ ließe sich, besser noch als am „Doktor Faustus“, das Gegenteil zeigen. Denn der Chamäleon-Charme dieser Musik ist original busonisch – und sonst gar nichts.

Vielleicht hat der geballte Zauberputz der Berliner Wiederaufführung das Stück eher erdrückt, als ihm auf die Beine geholfen. Vielleicht hätte die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim etwas weniger blumig breit spielen sollen und nicht gar zu laut für so manche Sänger-Solisten. Roman Trekel glänzte trotzdem in der Rolle des dämonischen Wiedergängers Leonhard. Nur der Staatsopernchor war an diesem Abend überhaupt nicht auf der Höhe.

„Die Brautwahl“. Musikalisch- phantastische Komödie nach E.T.A. Hoffmanns Erzählung von Ferruccio Busoni, bearbeitet von Anthony Beaumont. Regie: Nicolas Brieger. Bühnenbild: Hermann Feuchter. Musikalische Leitung: Daniel Barenboim. Weitere Aufführungen am 10., 12., 26. und 28. Dezember

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen