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Keine Haie der Großstadt in Harburg

■ Billard: Impressionen von der Harburger Bezirksmeisterschaft der Behinderten-Arbeitsgemeinschaft im Pool

Impressionen von der Harburger Bezirksmeisterschaft der Behinderten-Arbeitsgemeinschaft im Pool

„Kämpfen, Edeltraut, kämpfen!“, spornt eine Zuschauerin ihre Club-Freundin mit spitzen Schreien an. Ähnlich tut es Marlene Jaschke, wenn ihr Wellensittich sich beim Fressen abmüht. In Harburg geht es jedoch nicht um Körner sondern um Kugeln.

Gespannt verfolgen die schon etwas betagten Frauen und Männer der Behinderten Arbeitsgemeinschaft das Endspiel ihrer Bezirksmeisterschaften im Pool-Billard. Das Radio wurde im Harburger Billard-Center leiser gedreht und die muntere Stimmung der vorhergehenden Spiele verwandelt sich in Stille. Langsam mogelt sich die weiße Kugel immer näher an das Mittelloch und fällt schließlich doch hinein. Fassungslos über die unerwartete Wendung gratuliert Pechvogel Heinz Ahrens seiner Gegnerin. Edeltraut Schröder nimmt jetzt den Queue-Zweikampf um den ersten Platz gegen Herbert Nodorf auf. Zum ersten Mal mischt eine Frau bei den Bezirksmeisterschaften für Behinderte ganz oben mit. Doch sichtlich nervös kann sie sich nicht mehr auf die bunten Kugeln konzentrieren. Herbert Nodorf peilt die schwarze Kugel an und versenkt sie gekonnt in der hinteren Ecke. Unter Freudentränen und lautem Beifall gratuliert ihm seine Rivalin.

Die 16 Turnierbestreiter schlendern langsam zur Preis-Verleihung in den vorderen Teil ihres Treffpunktes. An der Fensterfront entlang, zwischen den spartanisch aussehenden Tischen und Stühlen am Rand und den Billard-Tischen in der Mitte hindurch. Vorbei an zwei Spielautomaten bis zur hölzernen Bar. Lieblos aufgeklebt hängt die Preisliste in Augenhöhe an einem Tresenbalken. Nur ein verkannter Billard-König bleibt noch einmal stehen, legt seinen Aktenkoffer auf einen der Tische und macht pflichtbewußt die letzten Eintragungen in sein Heft. Stolz präsentiert Horst Kronshage, der Initiator der Meisterschaften den bunten Gabentisch. Jeder Spieler darf sich von den Preisen, Wurst, Kaffee, Pralinen, Sekt und anderen guten Tropfen, etwas aussuchen. Etwas unbeholfen, ohne die passenden Worte zu finden, überreicht der Turnierleiter den zufriedenen Siegern ihre Pokale. „Sogar die SPD und CDU– Fraktion hat uns einen Klose- und einen Rühl-Wanderpokal gestiftet“, berichtet der ehemalige Bezirksabgeordnete stolz.

Heute ist er der erste Vorsitzende der Behinderten Arbeitsgemeinschaft Harburg e.V. Vor sechs Jahren verwirklichte er seine Idee des Behinderten-Billard. So kamen die 16 Turnierspieler/innen zu ihrem neuen Hobby. „Bis jetzt gibt es noch keine Hamburger Meisterschaften im Pool-Billard für Behinderte“, doch das möchte der engagierte Vereinsgründer gerne ändern. Aber: „Der Spaß ist das Wichtigste, und mitmachen kann jeder, der mindestens 30 Prozent behindert ist“, erklärt Kronshage. „Eine gute Gemeinschaft ist für uns durch das Billard entstanden“, kommentiert der zum vierten Mal ungeschlagene Pokalbesitzer die neidlose Atmosphäre. Herbert Nodorf hat eine Oberschenkelamputation hinter sich und gehört als rüstiger Mittfünfziger noch zur jüngeren Garde des Vereins. Warum die Jugend kein Interesse zeigt, kann sich der Vorsitzende auch nicht erklären. Der Besitzer des Harburger Billard-Center, Erwin Pütz, steht den Vereinsmitgliedern mit Rat und Tat zur Seite. Der Carambolage- Spieler stellt seine beheizten Tische jeden ersten Montag im Monat zum halben Preis zur Verfügung. Die vier Turniere im Jahr sind frei. Ein Mitarbeiter übernimmt die Leitung der Turniere und tüftelt die Gegner im doppelten K.O.-System mit Gewinner- und Verliererrunde aus.

Der Billard-Center am Harburger Seeveplatz liegt neben dem ersten behindertenfreundlichen Kaufhaus in Hamburg. Dort hat auch das Informationszentrum der Behinderten Arbeitsgemeinschaft Harburg seinen Platz. Nicht nur deshalb ist es naheliegend, daß sich Hamburgs Behindertensportler damit weniger schwer tun, Billard als eine völlig normale Sportart auszuüben - fern vom Paul-Newman- „Haie-der-Großstadt“-Klischee.

Kirsten Lösch

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