: Ich bin erst Antifaschist, dann Skinhead
Nicht alle Glatzen stehen rechts: Die „Skinheads Against Racial Prejudice“ (S.H.A.R.P.) arbeiten mit türkischen Organisationen zusammen und befürworten militante Aktionen ■ Von Severin Weiland
Berlin. Vor kurzem hat sich J.B. wieder einmal geärgert. Da saß er im Geschichtsunterricht mit kurzgeschorenem Schädel, Jeans und roten, schweren Stiefeln – ein 17jähriger Skinhead, eine Glatze wie aus dem Bilderbuch. Plötzlich fragte ihn seine Lehrerin: „Welches Wohnheim zündest du demnächst an?“ J.B., ein stämmiger Junge, war sprachlos. Wie konnte ihm seine Lehrerin mit solcher Ablehnung begegnen? Sie kannte ihn doch schon seit längerem und wußte um seine politische Einstellung, als er noch mit langen, verfilzten Haaren herumlief. Vielleicht hätte die Lehrerin anders reagiert, wenn sie den Aufnäher auf seiner schwarzen Bomberjacke gesehen hätte. Da steht, deutlich sichtbar, in schwarzer Schrift „Skinheads Against Racial Prejudice“ (S.H.A.R.P.), zu deutsch „Skinheads gegen rassistische Vorurteile“.
J.B. ließ sich vor knapp einem Jahr zum Skinhead umfrisieren. Warum? „Alle Jugendbewegungen sind doch mehr oder weniger vermarktet, guck dir den Punk an. Selbst Garfield tritt mittlerweile als Punk auf. Skinhead hat etwas mit Rebellion zu tun. Als Skinhead schreckst du halt Leute ab, schaffst du Distanz.“ Weil aber S.H.A.R.P.-Skins sich von ihren rechten Pendants bis auf den Aufnäher kaum unterscheiden, sind J.B. und seine drei S.H.A.R.P.- Freunde Bernd (20), Ollie (17) und Thomas (18) mißtrauische Blicke mittlerweile gewöhnt. Vor allem von jungen Türken, die ebensowenig wie die Lehrerin wissen, mit wem sie es zu tun haben. Manchmal kommen die Skins dann schon in heikle Situationen, werden mit Messer oder Pistole bedroht – passiert ist ihnen jedoch noch nichts. „Im allgemeinen kann man den Türken erklären, was ein S.H.A.R.P.-Skin ist, und manchmal kommt man sogar ins Plaudern, sozusagen von Antifaschist zu Antifaschist“, erzählt Bernd.
Skinheads, die sich als Antifaschisten begreifen? Das scheint nicht hineinzupassen in jenes Bild der dumpf gröhlenden Schlägerbanden, die vor Asylbewerberheime ziehen, Ausländer terrorisieren oder wie in Mölln ein Wohnhaus anzünden. Mit diesen „Nazi-Idioten, die mit einer Glatze herumlaufen und ,Deutschland den Deutschen‘ schreien“, aber wollen J.B. und seine Freunde nichts zu tun haben. Auch nicht mit den Red-Skins, den „Roten“ in der Szene, die für J.B. in Berlin einfach nur „Stalinisten“ sind: „Von Marx und Lenin halte ich nicht viel. Diese ganzen -Ismen, die passen doch nicht mehr in unsere Zeit.“ Für ihn und seine Freunde steht fest: Sie selbst sind die wahren Skins, die Gralshüter der ursprünglichen Skinhead- Szene. Sie entstand in den sechziger Jahren als proletarische Subkultur gegen die Hippiebewegung der Mittelschichten in England und hatte Verbindungen zur schwarzen Reggae-Bewegung. Als jedoch ein Teil der Szene sich Mitte der siebziger Jahre faschistischen Organisationen zuwandte, reagierten andere mit der Gründung der S.H.A.R.P.-Bewegung – und mit Losungen gegen den Rassismus.
Für die Widersprüchlichkeit dieser Jugendkultur steht in der Gruppe Bernd. Mit 13, so erzählt der Abiturient, habe er sich noch mit Türken geprügelt. Heute arbeitet er mit der „Antifasist Genclik“ zusammen, einer autonomen antifaschistischen Gruppe junger Türken aus Kreuzberg: „Ich habe früher die ,Böhsen Onkelz‘ (Skinhead-Kult-Band mit rechtem Hintergrund – d. Red. ) gehört und fand das mit Hitler alles ganz gut in meiner kindlichen Unwissenheit. Türken waren für mich Menschen, die irgendwie Arschlöcher waren. In was für einem rassistisches Umfeld ich mich damals bewegte – das war mir gar nicht bewußt. Wenn ich auf jemanden gestoßen wäre, der mich aufgegriffen und politisiert hätte, wäre ich vielleicht heute ein Nazi.“ So, als wolle er an seiner Bekehrung keinen Zweifel lassen, trägt Bernd mittlerweile ein schwarzes T-Shirt der britischen Ska-Band „Blaggers I.T.A“, auf dem ein Kurzgeschorener seinen Baseball-Schläger gegen das Keltenkreuz schwingt, das Symbol der rechten Skins in England. Darunter prangt der Schriftzug: „Fight facism“.
Politik spielt in der Gruppe – neben der Musik von Gruppen wie „Mothers Pride“, „The Butlers“ und „Blechreiz“ und den modischen Accessoires der schweren „Boots“, den Jeans, karierten Hemden und Hosenträgern – eine herausragende Rolle. Flugblätter schreiben oder wie Ollie auch schon einmal mit anderen ein Asylbewerberheim schützen – das hebt sie heraus, auch aus der Masse der Skins. Die Gruppe aus dem Südwesten Berlins, wo schmucke Reihenhäuser das Bild prägen, schweißt nicht nur die Ablehnung gegen die Rechten zusammen, sondern auch die gegen den Staat. Bernd, seit zwei Jahren ein S.H.A.R.P.-Skin, fühlt sich von „diesem System angegriffen und angewichst“. Er sei „gegen die Grundausrichtung, wo es nur um die Maximierung des Gewinns geht. Meine Utopie ist es, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich meinen Wohlstand eben nicht auf dem Rücken anderer Länder und Völker aufbaue, in der ich nicht täglichen Zwängen unterworfen bin, die wenigen nützen.“ Die Eierwürfe auf den Bundespräsidenten am 8. November im Berliner Lustgarten finden daher ungeteilte Zustimmung. Der 18jährige Thomas, der eine US-Militärhose trägt und ansonsten ein eher schweigsamer Typ ist, will sich von „einem wie Weizsäcker“, der in der Wehrmacht gedient hat und in einer Chemiefirma arbeitete, die an giftigem Entlaubungsmittel für den Vietnamkrieg verdiente, „nicht vorschreiben lassen, daß ich keine Gewalt anzuwenden habe“. So hält er denn auch den Brandanschlag der Autonomen auf den unter rechten Skins und Neonazis beliebten Jugendclub „Judith Auer“ in Hohenschönhausen für eine „gute Aktion“. Und Bernd, als Ältester in der Gruppe eine Art Meinungsführer, ergänzt: „Ich bin alles andere als gewaltgeil. Wenn sie vermieden werden kann, soll sie vermieden werden. Ich lehne es auch ab, Bandenkriege unter einem politischen Banner völlig planlos und unvernünftig zu führen. Aber Militanz, wenn sie zielgerichtet ist, macht an der richtigen Stelle, zum richtigen Zeitpunkt Sinn.“
Ob sie immer Skinheads bleiben wollen? J.B. ist sich nicht ganz so sicher. Manchmal beschleichen ihn Zweifel. Etwa, als er auf einer S-Bahn-Station von einem deutschen Polizisten türkischer Abstammung angesprochen wurde: „Da höre ich hinter mir den Bullen sagen: ,Hey, bist ein Nazi, bist ein guter Deutsch-Mann, was.‘ Dieser Bulle, der dieses System und diesen ganzen Staatsrassismus schützt, sagt zu mir ,Nazi‘. Das hat mich verdammt verwirrt. Ich bin in die S-Bahn eingestiegen und habe mich den ganzen Tag geärgert“.
Alle Namen wurden auf Wunsch der Betroffenen geändert – die Redaktion.
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