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El Salvador begräbt das Kriegsbeil

Der zwölfjährige Bürgerkrieg in dem mittelamerikanischen Land wird heute offiziell beendet/ Noch Mißtrauen zwischen der Armee und der ehemaligen Guerilla FMLN  ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard

In Perquin, einem jahrelang von der salvadorianischen Guerilla kontrollierten Städtchen in den Bergen von Morazan, wurde am Sonntag ein Revolutionsmuseum eröffnet. Der Besucher kann dort Schießprügel und Luftabwehrraketen bewundern, die vor kaum einem Jahr noch gegen die Armee eingesetzt wurden. Fotos erinnern an historische Gefechte und bekannte und unbekannte Guerillakämpfer: jene, die gefallen sind, und jene, die die Bevölkerung heute in Anzug und Krawatte aus dem Fernsehen kennt. Es fehlen auch nicht makabre Exponate wie Uniformteile des einst gefürchteten Oberst Domingo Monterrosa, der vor acht Jahren samt seinem Hubschrauber in die Luft gejagt wurde, nebst Trümmern selbigen Helikopters. Monterrosa, der erste Kommandant des von den USA ausgebildeten Elitebataillons „Atlacatl“, war damals auf der Suche nach dem Untergrundsender Radio Venceremos und fiel auf eine tödliche Attrappe herein.

Radio Venceremos sendet inzwischen legal aus der Hauptstadt San Salvador, und das „Atlacatl“- Bataillon wurde vor einer Woche aufgelöst. In den 15 Zonen, in denen die noch verbliebenen Truppen der Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) konzentriert sind, vernichten Guerilleros unter UNO-Aufsicht ihre Waffen mit Schneidbrennern und vollziehen damit den letzten Schritt ins Zivilleben. Alles ist vorbereitet, damit heute, am 15. Dezember, der seit 1.Februar währende Waffenstillstand in einen dauerhaften Frieden münden kann.

In einem symbolischen Akt wird der letzte Guerillero heute seine Waffe niederlegen und damit der zwölfjährige Bürgerkrieg offiziell beendet, der 75.000 Opfer forderte. Gleichzeitig wird die FMLN de facto eine legale politische Partei. Überall in San Salvador sind Arbeitsbrigaden unterwegs, die Gehsteige und Baumstämme in festlichem Weiß anpinseln, um die Hauptstadt für das Friedensfest vorzubereiten. UNO-Generalsekretär Butros Ghali wird erwartet, die Präsidenten Zentralamerikas haben ihr Kommen zugesagt, und George Bush will seinen tolpatschigen Vize Dan Quayle schicken. Unter den von der FMLN geladenen Ehrengästen ragen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu und Nicaraguas Ex-Präsident Daniel Ortega heraus.

Eigentlich hätte die Demobilisierung schon am 31. Oktober beendet sein sollen. So sah es das Friedensabkommen vor, das im Januar in Mexiko nach einem Jahr intensiver Verhandlungen unterzeichnet worden war. Doch kurz vor dem Stichtag war die Regierung noch mit der Umsetzung wichtiger Reformen im Verzug, so daß die UNO schließlich auf Antrag der FMLN die Frist um sechs Wochen verlängerte.

Auch jetzt sind noch längst nicht alle Probleme ausgeräumt. Bis zuletzt saßen die FMLN-Comandantes mit Regierungsvertretern zusammen, um einen Mechanismus festzulegen, der die Regierung zwingt, die noch ausstehenden Punkte des Abkommens zu erfüllen, wenn die FMLN mit der Entwaffnung ihre letzte Karte gespielt hat. Die Übertragung von Ländereien an Ex-Kämpfer und die soziale Basis der Guerilla zieht sich hin. Der neuen Zivilpolizei, in die auch ehemalige Guerilleros integriert werden, fehlt die finanzielle Basis. Die Justizreform ist erst zum Teil verwirklicht, und die neue Wahlgesetzgebung, die faire Bedingungen für den Urnengang im Jahre 1994 schaffen soll, blieb wochenlang in den Parlamentsausschüssen stecken. Die Nationalversammlung mußte am Sonntag eine Plenarsitzung am Sonntag einschieben und feilschte bis in die Nacht um die letzten strittigen Punkte.

Es fehlt auch nicht an gegenseitigem Mißtrauen und Anschuldigungen des Gegners. „Der Krieg ist noch nicht zu Ende“, ließ Verteidigungsminister Ponce vor wenigen Tagen wissen, denn die FMLN hätte nur ihre Strategie gewechselt: „Um an die Macht zu kommen, ist ihr jedes Mittel recht.“ Die Militärs sind in der Defensive, seit die sogenannte Ad- hoc-Kommission eine Liste von hundert hohen Offizieren zusammengestellt hat, die schwerer Menschenenrechtsverletzungen für schuldig befunden wurden. Präsident Alfredo Cristiani ist laut Friedensabkommen verpflichtet, derartige Personen aus der Armee zu entfernen. Doch er dürfte angesichts eines drohenden Putsches eingewilligt haben, die Offiziere mit allen Ehren in Pension zu schicken, statt sie zu degradieren und schimpflich zu entlassen.

Aus eigener Initiative haben die Militärs bereits vor einigen Monaten begonnen, jene Offiziere aus dem Verkehr zu ziehen, die in Drogenschiebereien, Entführungen oder Autoschmuggel verwickelt sind. Während die Liste der Ad- hoc-Kommission bisher vertraulich behandelt wird, werden Namen genannt werden, wenn die sogenannte Wahrheitskommission im Januar ihren Bericht veröffentlicht. Diese Kommission unter Vorsitz des kolumbianischen Ex- Präsidenten Belisario Betancur untersucht eine ausgewählte Anzahl von politischen Verbrechen der letzten zwölf Jahre. Vor wenigen Tagen schlossen Gerichtsmediziner ihre Ausgrabungen im Dorf Mozote ab, wo das Atlacatl- Bataillon vor elf Jahren an die tausend Campesinos massakrierte.

Viele Wunden sind noch offen. Es werden Jahre vergehen, bis die letzten Narben verheilt sind. Doch El Salvador hat sich verändert in diesen zwölf Jahren Bürgerkrieg. Allein auf seiten der Armee tragen 10.000 Kriegsversehrte für den Rest ihres Lebens an den Folgen, eine halbe Million Salvadorianer wurden ins Exil getrieben. Zwar konnte die FMLN ihr ursprüngliches Ziel einer sozialistischen Revolution nicht verwirklichen, doch ist es auch der kleinen Gruppe steinreicher Familien nicht gelungen, das von ihnen dominierte oligarchische System zu retten. Die politischen und wirtschaftlichen Reformen sind Bausteine für eine neue Gesellschaft, in der eine zahmer gewordene Linke eine wichtige Rolle spielen wird.

Wie aus der jüngsten Umfrage der Jesuitenuniversität UCA hervorgeht, hat jeder zweite Salvadorianer heute eine bessere Meinung von der FMLN als noch vor einem Jahr, als das Propagandamonopol der Regierung noch intakt war. Gleichzeitig ist die rechte Regierungspartei ARENA in der WählerInnengunst abgesackt. Der Kaufkraftverlust von schmerzlichen zwölf Prozent in diesem Jahr und die Einführung einer Mehrwertsteuer haben der Oligarchenpartei geschadet. Wirtschaftliche Sorgen und das drastische Ansteigen der Kriminalität sind heute die Probleme, die den SalvadorianerInnen zu schaffen machen. Doch eine Rückkehr zur bewaffneten Auseinandersetzung ist für die meisten gar nicht mehr vorstellbar.

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