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And now you all can see my Gebärmutterhals

■ Annie Sprinkle, Goddess of Sex, ehemals Prostituierte, über den Einstundenorgasmus und ihre enorme Show / Ab heute im Modernes

Welches Scheusal auf Erden wäre imstande, Annie Sprinkle nicht zu lieben! Annie hat keine Angst vor gar nix und findet ihren Körper spitze, Annie zeigt uns alles aufs Genaueste und steht, obwohl sie zwicken, auf rasante Pinup-Klamotten und ist weit voraus auf dem besten Weg zum Einstundenorgasmus und probt schon mal gerne auf offener Bühne, ja sie verwandelt geradewegs Sex zu Pop, was bekanntlich eine bunte, schöne Sache ist und vor allem für alle.

Und wenn sie sich dann, wie man sagt, freimacht und an die Rampe hockt, ein Spekulum hernimmt und Taschenlampen verteilen läßt und ins Publikum ruft: „And now you all can see my Gebärmutterhals“ — dann regt sich im Saale tatsächlich das herzklopfende Quietschvergnügen der frühen Doktorspielchen, wissen Sie noch? Und all die Pressefotografen, die sich mit ihren Objektiven der lächelnden Annie sodann jedesmal ernstlich zwischen Beine und Brüste drängeln müssen, weil sie dürfen, haben mal eine gute Gelegenheit, ihren Job zu hassen.

Kurzum: Von heute an bis Sonntag zeigt Annie Sprinkle im Modernes ihre Show Sex Kitchen, was eine Mischung ist aus ihrem berühmten Busenballett, aus Diashow und restlos unbekümmerter Volkshochschule in Sachen Sex von A bis Zervix. Annie liebt Schautaufeln, Statistiken und insbesondere diese praktischen Modelle; eine Plastikvagina ist immer zur Hand. Es ist ja auch überaus viel zu verklickern, wenn man, wie Annie, immer schon ein bißchen mehr hinter sich hat, als unsereiner je rauskriegen wird.

Kurzum, ich hab mit ihr reden dürfen, im Cafe Grün, allwo sie sich vorher schon die Brüste mittels Stempelkissen eingefärbt hatte, um ein paar ihrer berühmten tit prints für eine Ausstellung

„Sex Kitchen“ ist Busenballett, Diashow und restlos unbekümmerte Volkshochschule in Sachen Sex von A bis Zervix. Foto: Oberheide

dortselbst und gerade auch für den freien Verkauf zu stempeln (70 Mark aufwärts, „sehr billig“), tit prints in allen Farben und Kompositionen; am beliebtesten ist die Eistüte mit drei bis fünf Kugeln; und hinterher hat Annie Sprinkle also erzählt von ihren Jahren als Prostituierte und Pornostar, von ihrem Versandhandel mit gebrauchter Unterwäsche und, die neuere Zeit betreffend, von ihren Fotos, Videos und Performances, nunmehr vollführt als komplette patentierte Kunstfigur, als amtierende „Goddess of Sex“, die mit vielerlei Männern und Frauen ihr Glück macht.

Und warum hat sie, die sich

hierhin bitte

das Foto von

der schwarzhaarigen

Frau vor einem

Pornobild

jetzt gerne eine „bisexuelle Lesbe“ nennt, ihren alten Beruf aufgegeben? Hat sie gar nicht ganz, sagt sie. Einen Kunden hat sie immer noch, einen der ersten Stunde, seit 18 Jahren. Aber sonst, nein, zu stressig. „Und manchmal hatte ich schon auch mit groben, gewalttätigen Leuten zu tun“, sagt sie, naja, eigentlich oft, an die hundert mal. Andererseits, ich hab 3.000 Liebhaber gehabt, was sind da schon hundert?“ sagt sie und kommt ein wenig ins Grübeln. „Auf eine gewisse Weise hab ich's damals sogar genießen können, diese Gefahr, die Gewalt, die Erniedrigung. Ich brauchte allerdings einige Geistesgegenwart, um

heil rauszukommen. Und Glück. Naja, ich hab so viel Liebe gegeben; irgendwie muß ich ja auch unter einem Segen stehen.“

Segen ist das Wort. Seit sie ihre Shows macht, kriegt sie zahllose Briefe, „und nur ein einziger Hasser drunter“. Die andern haben außer tausend Fragen nur Lobpreis und tausend Dank für verschiedenerlei Erweckung, „großteils Frauen, die zum Beispiel ihre Pussy jetzt anders anschauen, oder andere, die sich jetzt leichter tun, die Schlampe in sich zu akzeptieren.“ Und die Männer? „Die schreiben auch, und die deutschen wollen fast alle nur Autogramme. Komisch, nicht?“

Früher hieß Annie Sprinkle bloß Ellen Steinberg und hatte, wie sie sagt, vor nichts auf der Welt mehr Angst als vor Jungens und Sex; nun, da Annie Sprinkle erfunden ist, hält sie sich die Männermassen vom Leib, indem sie sie heftig herbeiwinkt: „Ich liebe euren Enthusiasmus“. Das Fotografieren ist während ihrer Shows ausdrücklich erwünscht, und in der Pause darf man für 20 Mark den Kopf an ihrem Busen betten; ein Polaroid zum Beweis gibt's obendrein.

Daß Sex ganz einfach sei, mag heutzutage schon wieder kein Mensch mehr glauben, Annie Sprinkle dagegen erst recht: In New York, wo sie lebt, und überall in den Staaten und seit kurzem auch hierzulande macht sie allerhand Workshops für Frauen; sie hat instruktive Lehrbücher verfaßt und Videos, namentlich den neuesten Streifen How to be a sex goddess in 101 easy steps.

Sie lehrt ohne Unterlaß, daß Sex gut für die Haut ist und mehrere Krankheiten heilt und erzählt mir bei Gelegenheit von einer Reise nach Pompeij, allwo ihr damaliger Lover und jetziger

„Als Willem es mal mit seinem Asthma hatte, hab ich ihm einen geblasen, und schon war's gut“

Regisseur Willem de Ridder mal wieder einen seiner Asthma- Anfälle erlitt, „und ich hab ihm einfach einen geblasen, und schon war's gut.“

Wenn das nur alle könnten und umgekehrt! Was täte sie, frage ich, wenn sie das Geld hätte für eine große eigene Sexschule? „Oh, da ginge es wunderbar sinnlich zu, mit Musik und Farben, mit Sauna und Swimming Pool, ein bißchen wie damals in den ägyptischen Tempeln, wo die alten, weisen Huren Unterricht gaben. Naja, man würde vieleviele Arten von Sex üben können und lernen, wie der Körper funktioniert und wie der Einstundenorgasmus geht.“

Der allerdings ist noch nicht ganz serienreif. Obwohl die Weltpresse, wie überall zu lesen ist, schon von drei Stunden faselt, hat's Annie Sprinkle bisher zu maximal fünfzehn Minuten gebracht, umgerechnet immerhin Milliarden von Sekunden. Eins kann aber schon verraten werden: Es hat mit der Atmung zu tun! Mehr zum Thema demnächst per Video All about orgasm. Annie arbeitet schon dran. Manfred Dworschak

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