: Wie kamen Ami-Stiefel in die MiG?
Zwölf Jahre nach dem Absturz einer DC9 vor der italienischen Insel Ustica sind neue Dokumente aufgetaucht/ Ein Tonbandmitschnitt belastet US-Amerikaner und Franzosen ■ Aus Rom Werner Raith
Für die drei Männer im Tower von Poggioballone bei Grosseto nördlich von Rom war die Sache klar: „Mit unsren lahmen T104 haben wir gegen eine Phantom keine Chance.“ Außerdem sei das ja wohl ein Amerikaner, „und wo Amis mitspielen, scheißt sich unsere Regierung gleich in die Hose“. Den US-Flugzeugträger „Saratoga“, der wohl Auskünfte über das Flugzeug vom Typ Phantom geben könne, habe man im Hafen von Neapel, wo er liegen sollte, nicht aufspüren können, und so sei alles ziemlicher Mist.
Neue Beweisstücke
Das Gespräch, zufällig durch eine offengebliebene Telefonleitung zum Flughafen Ciampino in Rom aufgezeichnet und nur bruchstückweise verständlich, sorgte in Italien vor gut einem Monat für eine Sensation. Denn es fand statt am Abend des 27.Juni 1980 – wenige Minuten nachdem vor der Mittelmeerinsel Ustica eine DC9 der italienischen Fluggesellschaft Itavia ins Meer stürzte, wobei alle 81 Passagiere umkamen.
Daß der Mitschnitt erst jetzt bekannt wurde, hängt damit zusammen, daß sich die Behörden mehr als ein Jahrzehnt lang vor der Aufklärung gedrückt haben. Zehn Personen, die nach heutiger Sicht zur Wahrheitsfindung beitragen könnten, sind inzwischen unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Am spektakulärsten war der Tod der beiden Flieger, um die es bei dem Tonbandmitschnitt ging, die Piloten der T-104-Maschine, die zur Abfangaktion aufgestiegen waren. Sie stürzten 1988 bei der Flugschau der Frecce tricolori über Ramstein ab (siehe Kasten). Möglicherweise war einer von ihnen unter den dreien im Tower. Jedenfalls wurde einer von ihnen mit „Mario“ angesprochen, und es gab seinerzeit in Poggioballone nur zwei Marios – Mario Naldini, später Chefpilot der Frecce tricolori, und Mario Dettori, stellvertretender Radarleiter an jenem Tag; ihn fand man 1988 erhängt auf.
Seit der seit 1990 amtierende Chefermittler Rosario Priore das Gespräch mit Hilfe modernster Technik rekonstruieren ließ, purzeln unversehens weitere Beweisstücke in die Untersuchung: Nachdem es jahrelang geheißen hatte, alle Radaraufzeichnungen seien entweder zerstört, manipuliert oder sonstwie unbrauchbar, hat sich nun in einer Registration deutlich die Spur eines unbekannten Flugzeuges knapp hinter der DC9 gefunden – eben jene Phantommaschine, hinter der die langsamen T104 her waren.
Wo war die „Saratoga“?
Auch der Flugzeugträger Saratoga ist mittlerweile ins Kreuzfeuer geraten – ihn hatten Journalisten und auch einige von der Vereinigung der Hinterbliebenen des Flugzeugabsturzes beauftrage Experten schon lange im Verdacht, mit dem DC-9-Abschuß etwas zu tun zu haben. Die US-amerikanischen Behörden hatten immer behauptet, er habe vom 23.Juni bis 8.Juli unbeweglich und mit abgeschaltetem Radar im Hafen von Neapel gelegen, wie auch übrigens alle US- Flugzeuge zur Unglücksstunde am Boden gewesen seien.
Diese Version mußte inzwischen gleich dreimal nachgebessert werden: Zunächst einmal waren die Radargeräte nicht abgeschaltet, sondern liefen, „allerdings auf sehr niedriger Potenz“– doch auch das glaubt niemand, schließlich geschah dies noch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, und sowjetische Schiffe schwammen allenthalben im Mittelmeer herum. Dann fand Untersuchungsrichter Priore weitere Unstimmigkeiten: Die Protokolle des Flugzeugträgers wurden am 27. und 28.Juni 1980 allesamt von einer einzigen Hand geschrieben – fünf Wachdiensteinheiten lang, wo doch alle zwei Stunden abgelöst wird. Die US-Erklärung, man schreibe das ab und zu einfach erneut ab, weil die Papiere sonst vergilben, klingt matt.
Zahlreiche Merkwürdigkeiten
Weitere Merkwürdigkeit: In den Hafenprotokollen von Neapel steht ausdrücklich, der Flugzeugträger sei „erst nach dem Unfall von Ustica“ wieder ausgelaufen – warum mußte man das eigens vermerken? Analoge Hinweise finden sich in den Papieren der Capitaneria di porto sonst nirgends.
Inzwischen hat Priore den seinerzeitigen Kommandanten der Saratoga vernehmen dürfen. Admiral Flatley brummelte da etwas von einem „kurzen Auslaufen am 27.Juni, so circa zwei Stunden für ein Manöver“ – genau das, was inzwischen als erhärtet gilt: Am Tag des DC-9-Desasters war über dem Mittelmeer regster militärischer Flugverkehr, höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit einem von amerikanischen, französischen, deutschen und einem Teil der italienischen Geheimdienste gesponserten Putsch gegen Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi.
Dazu paßt auch, daß nahezu gleichzeitig mit der DC 9 im Sila- Gebirge in Unteritalien eine MiG- 23-Maschine mit libyschen Hoheitszeichen abstürzte und die italienischen Behörden versuchten, das Absturzdatum um mehrere Wochen umzudatieren: Die Maschine kann ihrer geringen Reichweite wegen gar nicht von Libyen gekommen sein, muß also von einer italienischen Basis aus gestartet sein – oder von einem Flugzeugträger. Da der Pilot amerikanische Stiefel und einen neutralen Helm trug, liegt der Verdacht nahe, die MiG habe den in dieser Nacht tatsächlich von Tripolis nach Warschau fliegenden Gaddafi irgendwohin locken oder sich seiner Maschine unverdächtig annähern sollen. Möglicherweise war es in diesem Zusammenhang zu einem Luftkampf oder zu einer versehentlichen Auslösung der Rakete gekommen.
Doch kaum war die Erklärung von Saratoga-Kommandant Admiral Flatley bekannt, ging alles wieder retour: Man sei „nicht wirklich ausgelaufen“, sagen die US- Behörden nun, man habe lediglich eine „simulierte Manöverübung abgehalten“: Da lege man Disketten mit fingierten Flugbewegungen und Schiffsrouten ein, und die Mannschaften und Piloten müssen, vom heimischen Trainingsgerät aus, per Joystick die richtigen Reaktionen üben.
Wo war die „Clemenceau“?
Starker Tobak. Er erklärt nämlich weder, wieso die T-104-Piloten hinter einem höchst realen Phantom-Flugzeug (das im Mittelmeer nur die Amerikaner fliegen) her waren, noch, wieso man den immerhin 340 Meter langen Flugzeugträger bei klarer Sicht nicht im Hafen von Neapel hatte finden können.
Damit die Verwirrung noch größer wird, hat sich inzwischen auch noch der Verdacht erhärtet, ein weiterer Flugzeugträger sei in jener Nacht im fraglichen Gebiet zwischen den Inseln Ponza und Ustica herumgekreuzt – der französische „Clemenceau“. Die Franzosen sind diesem Verdacht seit Jahren naserümpfend mit Dementis begegnet – er sei schon am fraglichen Morgen in einen Hafen auf Korsika eingelaufen. Doch auch italienische Geheimdienstleute glauben dem nicht: Der bis 1991 amtierende Chef des Militärischen Abschirmdienstes SISMI, Admiral Fulvio Martini, hatte bereits vor zwei Jahren erklärt, für den Abschuß der DC 9 seien „die Amerikaner oder die Franzosen verantwortlich“.
Die Erklärung hat ihn, wenig später, seinen Posten gekostet.
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