: Selbstgerechtigkeit im Land der Mörder
■ Fünfzig Jahre danach melden sich die Überlebenden und ihre Kinder zu Wort
Im März dieses Jahres hielt es das Bundeskabinett als einzige EG- Regierung für richtig, eine Resolution der UN-Menschenrechtskommission nicht zu unterschreiben: Sie gilt dem Schutz der Roma. Man wollte sich das „Recht zur Ausweisung vorbehalten“. Selbst „den Schutz und die Sicherheit der Zigeuner zu gewährleisten, die sich legal auf ihrem Staatsgebiet aufhalten“, lehnte Bonn ab – unter Hinweis auf die „möglichen materiellen Folgen“.
Als Johannes Rau, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, im vergangenen Jahr „die geschlossene Rückführung“ der Roma- Migranten in das ehemalige Jugoslawien organisieren ließ, da bemerkte er, mit der ihm gelegentlich eigenen pastoralen Selbstgerechtigkeit: Er könne sich nicht vorstellen, daß ehemalige NS-Opfer aus Nordrhein-Westfalen abgeschoben würden. Tatsächlich gibt es in Europa kaum eine Roma- oder Sinti-Familie die im Zweiten Weltkrieg nicht Opfer deutscher Verfolgungs- und Rassenpolitik geworden wäre.
Die systematische Verdrängung dieser Verbrechen im Land der Mörder ist alt. Sie begann mit der Diskriminierung der überlebenden Sinti und Roma in der Wiedergutmachungsgesetzgebung. Sie wären wohl vollständig leer ausgegangen, hätten sie nicht in dem Frankfurter Rechtsanwalt Kurt May – dem Begründer der jüdischen Rechtshilfeorganisation United Restitution Organisation – ihren Fürsprecher gefunden. Von den überlebenden Häftlingen des Berliner Zigeunerlagers Marzahn erhält lediglich eine einzige Frau eine Verfolgtenrente. Kaum einer der SS-, Wehrmachts- und Polizeiangehörigen, welche die „Zigeunerfrage“ in Europa „gelöst“ hatten, wurde später vor Gericht gestellt, geschweige denn bestraft. Die akademische NS-Forschung ignoriert das Thema bis heute.
In dieser Situation ist es wichtig, daß sich die Opfer selber zu Wort melden. Romani Rose forderte gestern, den Schutz für ethnische Minderheiten, wie er bereits für Dänen oder Sorben festgeschrieben ist, in das Grundgesetz aufzunehmen. Eine plausible Forderung, die die PolitikerInnen schlicht überhörten.
Hervorzuheben ist ein Buch, das vom Rom-Verein in Köln erarbeitet und herausgegeben wurde. Es dokumentiert erstmalig die Verfolgung der Roma im deutsch besetzten und beherrschten Jugoslawien. Detailliert und genau berichten die AutorInnen aus der Perspektive der Täter wie der Opfer: Von 190.000 Menschen wurden damals etwa 120.000 ermordet. Südosteuropa war das Zentrum dieses Genozids.
Im Oktober 1942 schrieb der deutsche Militärbefehlshaber in Serbien: „Der Zigeuner kann aufgrund seiner inneren und äußeren Konstitution kein brauchbares Mitglied der Volksgemeinschaft sein.“ Ein dreiviertel Jahr später brüstete sich derselbe Mann: „Die Judenfrage, ebenso wie die Zigeunerfrage sind völlig liquidiert.“
Karola Frings, Cordula Lissner, Frank Sparing: „... einziges Land, in dem Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst wurden. Die Verfolgung der Roma im faschistisch besetzten Jugoslawien 1941–1945“, 140 S., 10 DM. Zu beziehen über: Rom e.V., Bobstr. 6–8, 5000 Köln 1
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen